Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
Vom Netzwerk:
tun? Oder mit Gefühl? Sicher, er hatte sie gemocht – so lange sie noch eine Frau gewesen war. Und er war sogar bereit gewesen, einiges für sie aufs Spiel zu setzen. Aber jetzt?
    »Weißt du, Junge, Meerjungfrauen sind genauso übel wie ihr Ruf«, unterbrach Nora seine Gedanken, »krallen sich jeden Kerl, den sie sehen. Glaub mir, mir sind in meinem Leben einige dieser grünäugigen Hexen begegnet. Fiona Scully zum Beispiel, ein geborenes Miststück, hatte mal ein Auge auf Eoin Gomball geworfen. Hat sich doch eines Nachts tatsächlich in die Gestalt von Elva, Eoins Verlobter, verwandelt, nur um ihn ins Bett zu kriegen. Oder die MacManus-Schwestern, bildhübsche reizende Mädchen, aber so falsch wie zwei Schlangen im Apfelbaum, das sag ich dir. Wie die beiden Aidan Connor in die Petrullie gebracht haben, damals als –«
    Fin verdrehte die Augen. »Nora, bitte verschone mich!« Er nahm der Alten die Flasche ab und ließ das rettende Nass in seine Kehle rinnen.
    »Die Meerweiber arbeiten mit allen Tricks. Erst verlassen sie ihre vertraute Umgebung und gehen an Land, um sich einen Kerl zu angeln. Aber wer will schon mit nem kalten glitschigen Fisch ins Bett? Was machen sie also? Werfen zack!« – sie klatschte mit der Hand auf ihren Oberschenkel – »einfach ihren Schwanz ab!«
    »Allerdings.«
    »Und jeder fällt drauf rein!«
    Er rülpste.
    »Ein Trost, dass nicht jede Meerjungfrau, die einen Prinzen gefunden hat, am Ende auch glücklich mit ihm wird.«
    Sogar Nora wusste es. Geschichten mit Meerjungfrauen hatten kein Happy End. Trotzdem hatte er sein ganzes Leben umkrempeln wollen, hatte der Langeweile den Kampf angesagt. Und jetzt warf er die Flinte ins Korn, weil die Meerjungfrau, die ihn erlösen sollte, gar keine war. Eine Erkenntnis, die nicht allzu überraschend kam, wie er sich eingestehen musste. Nein, auf diese Erfahrung hätte er gut und gerne verzichten können.
    Wo war sie geblieben, seine Energie vom Abend zuvor. Aufgelöst hatte sie sich wie Zucker im Kaffee. Übrig geblieben waren Bauchschmerzen und ein klebriger Rest, die widerlich sirupsüße Erkenntnis, dass er nie ein Held werden würde.
    Was sollte er Ramsay erzählen? Oder wichtiger noch, was sollte er ihm nicht erzählen?
    »Du musst eben versuchen, sie loszuwerden.«
    »Was?«
    »Weißt du, wie man eine Meerjungfrau loswird?«
    »Nein, aber ich fürchte, du wirst es mir gleich verraten.«
    »Wenn eine Meerjungfrau an Land geht, versteckt sie ihr Schuppenkleid. Darin wohnt ihre Seele. Du musst es nur finden und ins Meer zurückwerfen. Wenn die Meerjungfrau nämlich zu lange von ihrer Seele getrennt ist, stirbt sie. Also muss sie hinterherspringen.«
    Das hörte sich einfach an. Aber Fin hatte kein Kleid gefunden. Nur einen Van Gogh, und den konnte er schlecht in den Atlantik werfen. Zudem war es unwahrscheinlich, dass Charlotte hinterhersprang.
    »Und wenn sie wieder zurückkommt?«
    Nora überlegte einen Moment, kramte in ihrem unerschöpflichen Vorrat an Feenweisheiten. »Dann musst du es machen wie Conn An Bacach. Der hat ein ganzes Dorf von einer wahren Meerjungfrauenplage befreit.«
    »Und wie hat er das angestellt?«
    »Er hat die Fischhäute den Hunden und Katzen des Dorfes zum Fraß vorgeworfen.«
    »Oh …« Auch irische Helden griffen bisweilen zu unorthodoxen Mitteln.
    Obwohl … vielleicht war die Idee gar nicht so schlecht wie sie sich anhörte. Vielleicht musste er seine Meerjungfrau wirklich den Hunden zum Fraß vorwerfen. Vielleicht war das seine einzige Chance. Eine zugegeben winzige Chance.
    »Hier«, er drückte Nora die Flasche in die Hand, »du kannst den Rest haben.«
    Er fasste einen Entschluss. Er musste zurück. Die einzige Möglichkeit, mit erhobenem Haupt aus dieser Geschichte rauszukommen, war, dass er mit dem Van Gogh unterm Arm vor Superintendent Ramsays Schreibtisch trat. Noch war es nicht zu spät.
    »Feenlicht«, murmelte es neben ihm.
    »Was?«
    Seine Augen folgten Noras Hand, die mit dem Flaschenhals zum Horizont zeigte. Ein schwacher Lichtschein erhellte die tiefhängenden Wolken, strahlte für einen Moment und verlosch. Sekunden später flammte das Licht wieder auf, an derselben Stelle, leuchtete wie eine gigantische Taschenlampe und erstarb.
    Fin hielt den Atem an. »Das is kein Feenlicht!« Hier feierten weder Feen noch Meerjungfrauen eine Party. Wenn hier jemand eine Einladung verschickte, dann war es nur eine einzige Meerjungfrau.
    »Der Leuchtturm!« Fin sprang auf.

Weitere Kostenlose Bücher