Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
den dreien – einmal beiseitenehmen und ihn zu der kleinen Französin von Delacruz befragen.
Als der Chef von ihnen abgelassen hatte, flüsterte Mireille Gabriel mit einer Stimme, die ihn kitzelte, ins Ohr: »Der weiß nicht, dass es Christophe gibt, oder?«
»Bist du verrückt? Wenn der davon Wind bekäme, dass wir beide ein uneheliches Kind haben, würde er mich auf der Stelle von diesem Arsch von Priester da exkommunizieren lassen. Er wäre sogar imstande, mich rauszuschmeißen.«
»Dann hätte ich den Kleinen wohl besser mitbringen und hier eine Szene machen sollen.«
»Vielleicht wäre die Lösung auch, dass wir in den nächsten Tagen heiraten.«
Eine sehr riskante Entgegnung, eine Flucht nach vorne. Mireille reagierte, indem sie laut auflachte. Ha! Heiraten! Nicht einmal im schlimmsten Albtraum würde sie sich auf die chauvinistische, bürgerliche, längst überholte Einrichtung namens Ehe einlassen. Eines Tages würden sie zusammenleben, sei es in Paris, in Barcelona oder anderswo, aber ohne irgendwem Rechenschaft abzulegen. Vor niemandem würden sie sich verpflichten, nur vor sich selbst, sah er das nicht auch so?
Sie steckte sich eine Gauloise an, um irgendetwas mit den Händen zu tun. Gabriel bejahte folgsam, und es wurde nicht mehr darüber gesprochen.
Heute seufzt Mireille, wenn sie an diesen Moment zurückdenkt, und sie gibt zu, dass ihr sein Vorschlag damals schmeichelte, so, als hätte er überraschend ein Hintertürchen zu ihren Sehnsüchten geöffnet. Später aber, als sie wieder zurück in Paris war, alleine mit Christophe, beschlich sie ein anderes Gefühl.
»Ich kann das nicht erklären. Es war diese unklare Bitterkeit, wenn du spürst, jemand hat dich gelinkt, aber du kannst es nicht beweisen.«
Nach dieser anfänglichen Aufregung verlief Mireilles Besuch in Barcelona sehr ruhig. Am Nachmittag nahm Gabriel sie mit in die Pension und stellte ihr Frau Rifà vor. Die Wirtin trat ihr zunächst so steif und wortkarg gegenüber, dass es an Beleidigung grenzte – oder war es Eifersucht? –, aber dann taute sie auf. Sie sprach ein überaus korrektes Französisch, das sie in jungen Jahren bei den Claretinerinnen in Vic gelernt und gepflegt hatte, und Mireille war klug genug, sie gleich beim dritten Satz dafür zu loben. Da trat Frau Rifà aus ihrer Deckung, und sie verstanden sich blendend. Das Gespräch sprang von einem Thema zum anderen, von Edith Piaf zu Gracia von Monaco, vom Eiffelturm zum Hasen à la royale. Und während sie Mireille durch die Räume führte, erzählte sie ihr, ohne an Selbstironie zu sparen, die Geschichte von dem Herrn aus Logroño und den ausgestopften Tieren. Mireille lachte, so wie nur die Franzosen über das Liebesunglück anderer lachen können, ohne gehässig zu wirken. Sie verguckte sich in den Kolibri mit den schimmernden Federn, der die Vitrine im Esszimmer seit fünfzehn Jahren nicht verlassen hatte, und die Wirtin bekannte, er sei auch ihr persönliches Lieblingstier. Als Mireille sich für einen Moment ins Bad entschuldigt hatte, gratulierte Frau Rifà Gabriel mit gesenkter Stimme. Sie gefiel ihr, die Kleine, die ließ Charakter erkennen. »Die passt ins Haus«, hätte sie gesagt, wenn sie seine Mutter gewesen wäre. Und in Anerkennung all der Jahre, die Gabriel schon in der Pension verbracht hatte, machte sie eine Ausnahme und ließ die junge Dame über Nacht bleiben: als erste Frau seit zwei Jahrzehnten, abgesehen von Natàlia Rifà selbst.
Als es schon dunkelte, zeigte Gabriel Mireille das Stadtviertel. Zuerst gingen sie zur Casa de la Caritat und an ihren hohen, rußgeschwärzten Mauern entlang. Die meisten Straßenlaternen waren trüb oder zerbrochen, und das Gebäude ragte mit der finsteren Anmutung eines mittelalterlichen Kerkers auf, die Gabriel als Kind manchen Albtraum beschert hatte (Mireille umarmte ihn). Über den Carrer Elisabets schlenderten sie dann zur Rambla. Quer über die Flaniermeile waren bunte Lichterketten aufgespannt, sodass sie, vom Canaletes-Brunnen aus gesehen, wie ein riesiger, überfüllter Festplatz aussah. Gabriel und Mireille waren entschlossen, sie trotzdem bis zum Ende hinabzulaufen. Eine mit Tüten und Paketen beladene Menschenmasse schob sich die Rambla hinauf, sie hatten den Eindruck, gegen den Strom zu schwimmen. Doch ein Stück weiter, in Höhe des Liceu, kehrte sich die Marschrichtung um, und auf einmal strömte alles mit ihnen abwärts, auf das Kolumbus-Denkmal zu. Streckenweise begleitete sie das Getöse einer
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