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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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Gestalt einer berittenen nackten Amazone. Ja, es war Anna Miralpeix – die Cousine von Justines Freund, wie sich herausstellte. Alles blieb in der Familie.
    »Was ist es denn geworden, Junge oder Mädchen?«, fragte Gabriel sie.
    »Ein Mädchen. Llúcia heißt sie, aber wir nennen sie Lucy. Sie ist jetzt fünf und das süßeste Kind der Welt. Ein bisschen aufmüpfig und unruhig, das ja.«
    »Hat sie wohl von ihrer Mutter. Mag sie das Meer?«
    »Sie mag lieber Tiere. Besonders Pferde.«
    Und sie zwinkerte ihm zu.
    Das Gegengift zum Besuch bei der göttlichen Linken Barcelonas wurde am nächsten Tag verabreicht, in Gestalt des Weihnachtsmahls im Hause Bundó. Wobei, für dieses eine und einzige Mal dürfen wir sagen: im Hause Carolina und Bundó. Wären die zwei Freunde unter sich geblieben, hätten sie Weihnachten wie immer gefeiert, mit einem Essen am 25., nach katalanischem Brauch; aber wegen der Anwesenheit der beiden Frauen verlegten sie es auf Heiligabend. Auch Carolina war am Vortag mit einem Linienbus angekommen, und binnen weniger Stunden hatte sie von der Wohnung Besitz ergriffen. Als er eintrat, konnte Gabriel es nicht glauben. Kein Vergleich mit dem trostlosen Ort, den er am Abend von Bundós Einzug betrübt verlassen hatte. Ein paar Handgriffe und ein bisschen guter Geschmack hatten ausgereicht, um ein Heim daraus zu machen. Bundó war selig. Carolina trat aus der Küche, um die Gäste zu begrüßen, noch mit der Schürze um, als hätte sie es schon ihr ganzes Leben lang so gemacht. Der Duft eines Truthahns mit Kastanien, der sich im Ofen bräunte, durchströmte die Wohnung und erfüllte sie mit einer gemütlichen Wärme, die alle vier – aus unterschiedlichen Gründen – für Glück hielten. Weil sie das so noch nicht kannten und keine sehnsüchtige Erinnerung an frühere Weihnachtsfeste sie bedrückte, vereinte dieser Abend sie in einer unvergleichlichen Reinheit. So einzigartig, dass keiner von ihnen jemals wieder Ähnliches erleben sollte. Hätten sie an Gott geglaubt, so hätten sie geradezu das Wesen der Weihnacht verkörpert.
    Diese Kraft beseelte sie die ganze Nacht hindurch. Carolina und Mireille verstanden sich auf Anhieb prächtig. Beide trugen Minirock und hohe Stiefel. Beide rauchten die gleiche Zigarettenmarke. Beide hatten eine schwierige Jugend gehabt. Miteinander sprachen sie Französisch, und wenn Bundó und Gabriel klagten, dass sie nichts verstünden, imitierten sie die hochmütige Haltung zweier reicher Auswanderinnen, machten sich über die Männer lustig und behandelten sie wie Luft. Doch dass sie so unbeschwert Freundschaft schließen konnten, verdankten sie letztlich Bundós Verschwiegenheit: Er hatte Carolina nie gesagt, dass Gabriel in Deutschland und England zwei weitere Frauen und Söhne hatte.
    Zum Nachtisch aßen sie Torrons und stießen mit einem Champagner an, den die zwei Transporteure bei einer der letzten Reisen erbeutet hatten. Als es ans Geschenkeauspacken ging, warnten Carolina und Mireille, sie würden nichts annehmen, das aus einem Umzug stammte, denn zum Christfest wäre das unmoralisch. Bundó, der von allen am meisten getrunken hatte, begann Weihnachtslieder zu singen, und wo ihm der Text fehlte, erfand er ihn. Carolina und Gabriel machten mit. Mireille versuchte sich an französische Weihnachtslieder aus ihrer Kindheit zu erinnern, und auch dabei half Carolina nach. Sie hatten die Lampen ausgeknipst und sangen im Schimmer einiger Kerzen und der Partykeller-Lichterkette, die um den Christbaum geschlungen war. Bundó war so hingerissen, dass er in Ermangelung eines Brummtopfs zu einer Anisflasche griff und darauf mit einem Messer den Takt kratzte. Damit löste er bei den Frauen einen Lachanfall aus, bei dem ihnen die Tränen kamen, und fühlte sich zu weiteren Kaspereien angespornt. Außer Rand und Band tanzte er durchs Zimmer, schweißgebadet, das Hemd aus der Hose und weiter die Anisflasche bearbeitend. Er gab das lebende Bild der Zufriedenheit ab, den Sieg der Gegenwart.
    Gabriel, der sich wie immer beherrschte, lachte darüber, wie der Freund sich zum Affen machte. Wenn er später an ihn denken musste, suchte er sich von all den Bundós, die er gekannt hatte, immer diesen heraus, den Weihnachts-Bundó. Tag für Tag tat er das, denn die einzige Möglichkeit, den Schmerz zu ertragen, lag darin, das Glück der Vergangenheit zu überhöhen.
    Wir sind zu sehr ins Plaudern geraten, was? Die Christofs geraten ins Plaudern, welche Neuigkeit. Schon lange zögern wir

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