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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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Segelschiff und ein paar kleine Punkte ringsum seien die Gischt. Aber ich erkenne darin eine Fledermaus mit ausgebreiteten Flügeln.«
    »Ah, wenn wir von solchen Hautflecken sprechen, da habe ich auch einen. Sieht aus wie der Schweif eines Kometen, der die Umlaufbahn um meine rechte Brustwarze fliegt.«
    »Übrigens, was für Geschenke brachte er euch mit, wenn er zu Besuch kam? Mir hat er einmal eine Spielzeug-Ukulele geschenkt.«
    »Ich bekam das Plastikschlagzeug. Und eine Trommel, die fehlte, habe ich durch eine Seifenschachtel ersetzt.«
    »Du Glückspilz! Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Schlagzeug. Stattdessen brachte er mir so ein albernes Kinderklavier mit, mit nur acht Tasten. Ich hatte sofort die Nase voll davon.«
    »Und ich kriegte eh nur das, was ihr übrig gelassen hattet. Als ich geboren wurde, lebte der Vater ganz ruhig in Barcelona und besuchte euch schon nicht mehr. Manchmal, wenn er zu uns kam, also zu meiner Mutter und mir, suchte er vorher irgendein Stück aus und brachte es mir bei. Zum Beispiel ein kaputtes Mikrofon. Die Batterien waren ausgelaufen und in der Kapsel festgetrocknet, aber ich benutzte es trotzdem. Wenn die Jungs aus dem Viertel mich nicht mitbolzen ließen, weil ich angeblich nicht gut genug war, habe ich mir das Mikro genommen und Fußballreporter gespielt.«
    »Du hast keinen Grund, dich zurückgesetzt zu fühlen, Cristòfol. Immerhin hattest du den Vater noch, als er uns schon fehlte. Ach, und die vier musikalischen Mitbringsel waren sicher alle aus derselben Beute. Von vier reichen Geschwistern.«
    »Mir fällt noch was ein: In der Schule gaben alle Kinder mit ihren Vätern an. Wenn es Streit gab, hieß es, mein Vater kommt und schneidet dir mit der Säge den Kopf ab (Tischler) oder haut dir die Spitzhacke in die Brust (Bauer) oder reißt dir mit dem Engländer das Ohr ab (Automechaniker). Als sie mich fragten, was mein Vater mache, sagte ich ihnen erst, dass ich darüber nicht sprechen könne, und dann, mit gesenkter Stimme: Mein Vater ist Geheimagent. Dass er mit einem Umzugslaster kreuz und quer durch Europa fahre, sei nur Tarnung. Diese Lüge verschaffte mir hohes Ansehen.«
    »Ich erzählte ihnen, mein Vater sei untergetaucht und Scotland Yard würde ihn suchen. Er sei einer der Zugräuber von Glasgow, und eines Tages würde er steinreich zu uns zurückkehren. Damit machte ich mich auch ziemlich beliebt, aber ich kriegte Ärger mit meiner Mutter, weil andere Eltern sich beschwerten.«
    Und so weiter. Und so weiter. Und so weiter.
    Sind wir Waisenkinder? Nein, sind wir nicht. Zumindest noch nicht. Es wäre eine Unart verzogener Knaben, diesen Status für uns in Anspruch zu nehmen. Als könnten wir damit all das, was an der Kindheit unseres Vaters abenteuerlich war, auch für uns reklamieren, bloß ohne das Gefühl der Verlassenheit und Hilflosigkeit, das ihn die ganze Zeit begleitet haben muss. Manchmal, wenn wir uns zu viert unterhalten, kommen wir zu dem Schluss, alles Spätere – das Leben im Umzugslaster, das ständige Unterwegssein und danach, als er nicht mehr reiste, diese krankhafte Heimlichkeit, also dass er sich vor aller Welt versteckte – sei nur eine Folge seiner unbehausten Kindheit gewesen. Allerdings schlug er selbst, wenn er über jene Jahre sprach, weder einen fatalistischen noch einen grollenden noch einen herablassenden Ton an. Er fand sich einfach damit ab.
    Stellen wir uns den verschlossenen und ängstlichen kleinen Jungen vor, der im Jahr 1945, kurz vor seinem vierten Geburtstag, in die Casa de la Caritat kam. Auch wenn er es selbst nicht wusste, trug er damals das Stigma des Kriegskindes. Weiß der Kuckuck, woher diese ausgesetzten Rotznasen kommen, sagten die Leute. Von Dirnen, von Müttern ohne Mann, von dummen oder schamlosen Dienstmädchen, die sich hatten schwängern lassen … Und schlimmer noch: Es könnten die Kinder von roten Separatisten sein, die an der Front gefallen waren. Durch ihre Adern floss das Blut des Teufels. Bei einem solchen Umfeld war das Waisenhaus wohl längst nicht das Schlimmste, was einem passieren konnte.
    Die Ordensschwestern regelten im Heim den Alltag, und Lehrer gaben den größeren Kindern Unterricht. Die kleineren, wie Gabriel, lebten eingehüllt in katholische Spiritualität. Selbst die Mahlzeiten verwandelten sich in Religionsstunden. Kein Brei wurde ohne den Heiligenkalender verfüttert: »Dieses Löffelchen für Sankt Pelagius, Märtyrer der Keuschheit …, dieses für Sankt Stephanus, der der

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