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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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heißen Kern, Brüder, so nah, dass wir uns schon verbrennen können, aber nein, meine Mutter fragte ihn nicht, warum ihm dieser Name gefiel. Stattdessen: ›Und wenn es ein Mädchen wäre?‹ – ›Dann Sigrun, so wie du.‹ Oh, die Kunst der Verführung, wie zahm sie uns macht!«
    Nach diesem Ausruf bleiben beide stumm. Cristoffini scheint in Gedanken versunken.
    »Das heißt, im Grunde bist du ein Irrtum«, sagt er schließlich. »Das habe ich ja schon immer vermutet.«
    Christof zündet sich noch eine Zigarette an.
    »Oder ein Volltreffer. Wie man’s nimmt. Vielleicht war ich ein Irrtum, ehe ich die anderen Christofs kennenlernte. Der Rechenfehler einer jungen Frau, die mit ihrer Antibabypille durcheinandergekommen war. Aber nun, da wir vier uns gefunden haben, erweist sich der Fehler eben doch als etwas ganz Richtiges.«
    »Wir fünf! Ich zähle ja wohl auch, oder etwa nicht?«
    »Was soll ich dir sagen?« Christof stößt ein gehässiges Kichern aus. »Komm, lass mich mal dein Herz hören. Deinen Puls.«
    »Sei nicht grausam, Brüderchen!« Cristoffini blickt ihn entsetzt an und beginnt zu zittern. »Was guckst du mich so an? Verlass mich nicht, Christof! Lass mich nicht im Stich! Du lässt mich nicht im Stich, hörst du? Du und ich, wir sind unzertrennlich. Wir haben einander so sehr unterstützt, in den schwierigen Zeiten! Was würdest du denn ohne mich machen? Wer würde dich beschützen? Was würde ich ohne dich machen?«
    Christof schweigt. In Cristoffinis Gesicht steht die Panik geschrieben. Verzweifelt wirft er sich Christof an den Hals, wie ein kleiner Hund.

9
E IN A BENTEUER AUF DEM K ANAL
ODER: T OXIKOSMOS
    Christopher ist an der Reihe
    Regen. Dieser feine und unablässige Regen, der Großbritannien an vielen Tagen von oben bis unten einhüllt. Und Wasser, Süßwasser und Salzwasser, überall. Warnung: Diese Seiten, die mir zustehen, werden sehr feucht sein. Kramt für den Anfang ein paar Platten mit britischer Popmusik aus den Achtzigern heraus – The Smiths, The Pale Fountains, Lloyd Cole, The Cure – und darauf die besonders winterlichen Songs, die Melancholiebomben: Da habt ihr den Soundtrack meiner Jugend. Am größten war meine Einsamkeit an solchen Samstagen, wie sie diese Musik mystifizierte. Da hing ich auf einem staubigen Sofa in einem der Pubs in meiner Gegend herum oder stand im Regen Schlange, um in den Club zu kommen, wobei meine nervösen Finger in den Manteltaschen mit zwei Speedpillen herumspielten. Meine Mutter war Krankenschwester im St. Andrews Hospital. Damit will ich nicht sagen, dass sie mir die Pillen besorgt hätte, aber einmal im Monat – wenn sie Wochenenddienst hatte – überließ sie mich zwei Tage lang ganz mir selbst. Im Grunde hasste ich diese Wochenenden ohne Aufsicht. Sie zogen sich ewig in die Länge. Es war ein Gesetz der Jugend, dass meine Freunde es mir nie erlaubt hätten, die Freiheit nicht auszukosten. Sie drängten mich, möglichst viel Mist auf einmal zu bauen. Meine Mutter ging samstags um elf Uhr vormittags ins Krankenhaus und kam nicht vor Sonntag um Mitternacht zurück. Für mich begann der Samstag sozusagen unter Anleitung von New Orders Ceremony und endete ausgelutscht von Joy Divisions Shadowplay. Hört sie euch an, und ihr versteht, was ich meine. Oft fuhren wir schwarz mit dem Zug bis Charing Cross. Als wir fünfzehn waren, hieß London für uns Oxford Street. Wir gingen in die Plattenläden und hörten uns Zeug an, bis die Verkäufer, genervt von unserm New-Wave-Getue, uns rauswarfen. In den Antiquariaten von Charing Cross klauten wir Bücher, bloß wegen des Nervenkitzels, und versuchten sie dann bei der Konkurrenz zwei Häuser weiter zu verscherbeln. Wir schlichen uns an die Nutten von Soho heran, um ihnen an den Arsch zu fassen, und sie, völlig überempfindlich, weil der Affe sie ritt, brüllten los, als wollte man ihnen die Haut abziehen. Fuck off, you fucking cunt! Sie spuckten uns auch an. Mit jeder Stunde, die verging, legte sich eine neue Schicht Gestank auf meine Klamotten: Fish and Chips, Tabakrauch, Bier, Schweiß, Kotze. Irgendein kosmisches Mysterium bewirkte aber, dass ich aus diesem Strudel jeden Sonntag wieder in meinem Bett auftauchte. Es war weniger ein Erwachen als eine Rückkehr des schmerzlichen Bewusstseins, auf der Welt zu sein. Der Kater legte mich den ganzen Tag lahm, so lange, bis es wieder dunkel wurde, und ich schloss mich zu Hause ein.
    Einen Tick aus dieser Zeit habe ich heute noch: Ich schnuppere dauernd an

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