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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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rot und wund. Mein plötzliches Auftauchen scheint ihn nicht zu überraschen, doch sein Blick strahlt die pure Verzweiflung aus. Tränen fließen über seine Wangen, während er weiter Löffel für Löffel Suppe in sich hineinschaufelt.
    In der Ecke hinter Epap steht noch jemand.
    Er hat mir den Rücken zugewandt und zittert am ganzen Leib.
    »Jacob?«, frage ich, während mein Blick schon in die nächste Ecke schweift.
    Dort steht Ben, an die Wand gepresst und unkontrolliert zuckend. Auch er starrt die Wand an, sein Haar sieht zerwühlt aus, als wäre es grob in verschiedene Richtungen gezogen und gezwirbelt worden.
    Ich blicke wieder zu Epap. Der Löffel in seiner Hand fällt wie von meinem Blick getroffen auf den Tisch. Er sieht mir nicht mehr in die Augen, blickt über meine Schulter …
    Hinter mir ächzt eine Bodendiele.
    Ich spüre die Kühle einer Präsenz, die plötzlich hinter mir aufgetaucht ist, flink und dunkel wie eine Fledermaus um Mitternacht. Ich drehe mich um.
    Ein ausdrucksloses Gesicht, rund, mit Pausbacken und vorstehenden Augen, direkt über meiner Schulter.
    Wie der Mond. Der Vollmond.
    Doch in den leeren Augen leuchtet kein Licht. Er blinzelt, seine Lider fallen wie Guillotinen in Zeitlupe. Ich will schreien.
    Doch bevor ich einen Laut herausbringe, schlägt etwas Schweres auf meinen Hinterkopf. Mein Schädel knackt, mein Gehirn schwappt an die Vorderseite der Schädelwand. Alles um mich herum verflüssigt sich zu Grau und Schwarz, ich sacke schlaff und substanzlos zu Boden und sehe, höre und spüre nichts mehr.

36
    Dunkelheit, zäh und klebrig wie Teer, ist in tausend Schichten über meine Augen geschmiert. Es macht keinen Unterschied, ob ich sie öffne oder schließe. Alles ist schwarz.
    Es ist unmöglich zu sagen, wie viel Zeit vergangen ist. Ein Instinkt mahnt mich, stillzuhalten und sogar meinen Atem zu kontrollieren, um panisches Hyperventilieren zu vermeiden. Ausatmen, einatmen, absolut lautlos. Und mich zu orientieren, so gut ich kann, ohne mich zu bewegen, ohne zu sprechen.
    Eins weiß ich sicher: Ich bin nicht mehr unter freiem Himmel. Keine Regentropfen fallen mir ins Gesicht. Über mir sind keine Sterne, ich spüre nicht den leisesten Windhauch. Langsam lege ich meine flache Hand auf den Boden neben mich. Ein harter Lehmboden, trocken, von körniger Substanz. Ich bin in einem geschlossenen Raum. Es ist still wie in einem Sarg.
    Spitz die Ohren, Gene. Lausche.
    Ich höre nichts außer meinem pochenden Herzen.
    Ich schlucke Speichel hinunter, mein Adamsapfel hüpft.
    Bleib ruhig. Keine Panik . Und wieder dieser Instinkt, der mir sagt: Nicht bewegen .
    Und dann höre ich außer meinem klopfenden Herzen noch etwas, ein kaum vernehmbares Hauchen, das im nächsten Moment wieder weg ist. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet. Aber nein, da ist es wieder, ein leises Rasseln.
    Jemand atmet.
    Jemand ist in meiner Nähe.
    Bleib ruhig. Du darfst dich nicht verraten.
    Dann höre ich nichts mehr. Mein Herz und das Blut, das in meinen Ohren rauscht, sind zu laut. Ich zwinge mich, ruhig zu atmen, langsame, tiefe Züge mit weit offenem Mund, um ein ungewolltes Pfeifen zu vermeiden.
    Wo bin ich? Wer ist mit mir hier drin?
    Ich hebe langsam die Arme, lasse sie in einem Bogen kreisen und taste nichts als kalte Luft. Als ich den linken Arm sinken lasse, spüre ich etwas Kaltes, Glattes, Hartes. Glas? Ein Fenster? Ich wende den Kopf und starre in die Richtung, wo meine Hand ist. Ich sehe nichts. Nicht meine Hand, keine Glasscheibe, nur Schwarz. Und noch immer mahnt mich eine innere Stimme: Bleib ruhig, bleib ruhig, nicht bewegen.
    »Hallo?«
    Es ist nicht meine Stimme, sondern eine andere, rechts von mir, dünn und flüchtig, ein Rauchfaden.
    Es ist Sissy.
    Nicht bewegen, nicht sprechen, nicht bewegen, nicht sprech…
    »Sissy?« Ich unterdrücke den Impuls, mich aufzurichten.
    »Gene?«, erwidert sie flüsternd.
    Ich rutsche langsam und zentimeterweise zu ihr.
    Sie tut das Gleiche, wortlos. Die gleiche innere Stimme, die mich mahnt, still zu sein, spricht auch zu ihr. Unsere Fingerspitzen berühren sich, rangeln wie eigenständige Wesen miteinander und ringen sich zu Boden. Unsere Hände sind eiskalt, unser Griff ist wild und eindringlich.
    Und so bleiben wir ganz, ganz still liegen.
    Denn wir spüren es beide: Wir sind nicht allein.
    Sie atmet, ich atme. Stille.
    Und dann höre ich ein Stück entfernt noch jemand atmen. Leise, kleine Wölkchen dringen über schlafende Lippen.
    Sissy will auf

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