Die Jaeger
»Dein Freund ist schon lange kalt und tot, ich hätte es fast vergessen.«
Sie sah zu Leif und Robert und spuckte vor ihnen aus. »Ich verfluche euch, euch beide, und ich hoffe, dass ihr dasselbe erleben müsst, wie ich erleben musste. Jeder, der mir wichtig war und den ich geliebt habe, ist mir genommen worden. Durch euch!«
»Das ist so nicht wahr«, sagte Leif leise. »Dein Stiefvater hat deine Mutter …«
Doch sie ließ ihn nicht ausreden. »Ihr seid schuld. Ohne euch wäre er nie auf die Idee gekommen. Und du ebenfalls, Moona, weil du sie deckst und dich mit ihnen einlässt. Deshalb verfluche ich dich auch. Ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben, nie wieder. Wir sind geschiedene Leute.«
Ich schluckte. »Viviane, bitte, überlege dir gut, was du sagst …«
Auch ich durfte nicht aussprechen. »Ich überlege schon seit Tagen, was ich sage. Ich will nichts mehr mit dir und dieser ganzen Grabflüchtergesellschaft zu tun haben. Und das ist endgültig. Ich verrate euch dieses Mal nicht, weil sie sonst Kurt ins Lager bringen, und das möchte ich nicht, denn ich habe ihn geliebt, auch wenn er nicht mehr er selbst ist. Ich hoffe, wir können uns in diesem Kaff aus dem Wege gehen, wenn nicht, wenn auch nur ein einziges weiteres schreckliches Ereignis hier stattfinden sollte, liefere ich euch an die Behörden aus. Und dich auch, Moona. Es tut mir leid. Nein, streiche das letzte. Es tut mir nicht leid.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürzte hinaus. Wir drei blieben schweigend zurück.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Viviane hatte eine Menge durchmachen müssen, aber dass sie mich deswegen verfluchte, das hätte ich nicht gedacht. Ich war in diesem Moment viel zu geschockt, um in Gänze zu begreifen, dass meine lange Freundschaft mit ihr endgültig vorüber war, dennoch kamen mir die Tränen. Mühsam kämpfte ich sie hinunter und wandte mich ebenfalls zur Tür. Ich musste raus hier.
Wieder an der frischen Luft, ging ich schnurstracks zu meinem Auto und setzte mich hinein. Dort ließ ich meinen Tränen schließlich freien Lauf. Ich konnte Viviane nur zu gut verstehen, auch ihre Wut auf Leif und Robert, aber dass sie mich ebenfalls verantwortlich machte, das begriff ich nicht. Nur weil ich mit Robert zusammen war, hieß das noch lange nicht, dass ich guthieß, was Leif oder Vampire generell taten. Sie hatte uns verflucht! Ich war nicht abergläubisch, doch ihre Worte hatten einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Mein Herz klopfte rasend schnell, als ich daran dachte. Viviane war verletzt und unglücklich, daher konnte sie vermutlich nicht mehr klar denken. Ich hoffte inständig, dass sie eines Tages wieder zu sich kommen und unsere Freundschaft wieder aufleben lassen würde.
Als meine Tränen getrocknet waren, ließ ich das Auto an und fuhr fort von der Tankstelle. Wie Robert nach Hause kam, war mir in dem Moment egal. Ich musste etwas anderes erledigen.
***
Pfarrer Bernhard korrigierte gerade seine Sonntagspredigt, als ich ihn im Pfarramt aufsuchte. Er sah mich überrascht an, und ich glaubte sogar, dass er leicht errötete. Wahrscheinlich dachte er an unsere nächtliche Begegnung, als ich ihn im Adamskostüm gesehen hatte. Zum Glück war mir heute nicht mehr nach Scherzen zumute, sonst hätte ich jetzt einen kleinen, anzüglichen Spruch gemacht. So kam ich direkt auf mein Anliegen zu sprechen.
»Ich habe eine Frage die Mullendorfer Chroniken betreffend. Gibt es die noch? Kann man nachlesen, was in den vergangenen Jahrhunderten hier im Dorf passiert ist?«
Er legte seinen Kugelschreiber zur Seite und sah mich stirnrunzelnd an. »Was willst du denn wissen?«
Ich überlegte kurz, wie ich es ihm sagen konnte, ohne dass er mich für verrückt hielt und einen Exorzismus bei mir durchführen wollte. Obwohl ich nicht wusste, ob er so etwas auch wirklich machen konnte. Oder wollte.
Schließlich entschied ich mich für eine abgeschwächte Version der Wahrheit.
»Ein Fremder, den ich gestern getroffen habe, hat mich gefragt, was es mit dem Mullendorfer Herzen auf sich hat, irgendeine alte Macht in der Erde, hat er erzählt. Vielleicht meinte er verschüttete Ruinen oder so was. Als ob ich Mullendorfer Touristenführerin oder so was wäre.« Ich versuchte ein lockeres Lachen. Es gelang. Pfarrer Bernhard entspannte sich.
»Es gibt keine Ruinen in der Erde, zumindest meines Wissens nach nicht. Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist eine alte Legende über einen Dämon, der darin festgehalten
Weitere Kostenlose Bücher