Die Jagd des Adlers
besiegen, es sei denn, Rom übt seine Herrschaft über Judäa mit sanfterer Hand aus – oder ihr überzieht das Land von oben bis unten mit Garnisonen. Aber zu meinen Lebzeiten wird keins von beidem mehr geschehen.«
»Na schön, Symeon. Was würdest du tun? Wie würdest du das Los der Judäer verbessern?«
»Ich?« Ihr Führer hielt einen Augenblick lang inne, bevor er antwortete. »Ich würde sie als Allererstes von der römischen Steuerlast befreien.«
»Dann wäre es sinnlos, Judäa als Provinz zu haben. Willst du das für dein Volk?«
»Mein Volk?« Symeon zuckte mit den Schultern. »Genau genommen ist es nicht mehr mein Volk.«
»Bist du kein Judäer?«
»Doch, das bin ich. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich teile, woran sie glauben. Ich habe viele Jahre lang nicht mehr in dieser Provinz gelebt.«
»Wie bist du dann Führer geworden?«
»Vor über zehn Jahren musste ich Judäa in aller Eile verlassen.« Symeon sah Macro direkt ins Gesicht. »Bevor du fragst: Ich hatte meine Gründe, und ich werde nicht darauf eingehen.«
»Soll mir recht sein.«
»Gut. Ich ging also nach Süden, nach Nabataea, wo mich niemand suchen würde. Ich schloss mich Männern an, die von Karawanen zum Schutz angeworben wurden. So habe ich den Umgang mit Waffen gelernt. Nie werde ich meine erste Karawane vergessen. Zwanzig Tage zogen wir durch Wüsten und Berge. Solche Länder hatte ich nie zuvor gesehen. Wahrhaftig, Centurio, es gibt gewisse Orte auf dieser Welt, wo man die Hand Gottes sehen kann.«
»Ich glaube, ich habe bereits genug gesehen«, knurrte Macro. »Deshalb ziehe ich Kampanien oder Umbrien vor, egal an welchem Tag. Diese ganzen Wüsten und Felslandschaften können mir gestohlen bleiben.«
»Es ist hier nicht immer so, Centurio. Im Frühling ist es kühl, und es regnet, und die Berge sind von Blumen bedeckt. Selbst die Wüste jenseits des Jordan steht in Blüte. Und diese Wüste ist dann geradezu majestätisch. Im Süden gibt es ein Wadi, wo der Sand rot aufleuchtet und Klippen aus farbigen Felsen in die Höhe ragen. Nachts ist der Himmel von Sternen übersät, und die Reisenden versammeln sich um die Lagerfeuer und erzählen einander Geschichten, deren Echo von den Klippen widerhallt.« Er hielt inne und schien ein wenig unsicher zu lächeln. »Vielleicht siehst du es ja eines Tages selbst, und dann wirst du es verstehen.«
Er schnalzte mit der Zunge und trieb sein Pferd an, bis er der Kolonne ein wenig vorausritt. Macro starrte ihm einen Moment lang nach und wandte sich dann leise an Cato. »Nun, was hältst du von ihm?«
»Ich bin mir nicht sicher. Wenn er die Gegend so gut kennt, wie er behauptet, dann kann ich verstehen, warum Florianus ihn einsetzt. Aber er hat irgendetwas an sich, das nicht zu stimmen scheint.«
»Und das wäre?«
Cato schüttelte den Kopf. »Auch da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich kann einfach nicht glauben, dass ein Mann seiner Familie und seinen Freunden für so lange Zeit und mit einer solchen Lässigkeit den Rücken kehrt. Er ist interessant.«
»Interessant?« Jetzt war es Macro, der den Kopf schüttelte. »Verrückt vielleicht. Möglicherweise hat er einfach zu viel Wüstensonne abgekriegt.«
Die Reiterkolonne erreichte die kleine Gemeinschaft der Essener in Qumran, als die Sonne gerade in ihrem Rücken unterging und lange, verzerrte Schatten vor Menschen und Tiere warf. Qumran war eine bescheidene Siedlung, die aus einfachen, an staubigen, schmalen Straßen gelegenen Häusern bestand. Wachsam erwiderten die Menschen den Gruß Symeons, der die Kolonne durch das Dorf zu einer kleinen Festung führte, die eine Meile hinter Qumran auf einem kleinen Hügel errichtet worden war. Jenseits der Festung erstreckte sich das Tote Meer bis zu den Bergen, die lohfarben und bedrohlich im roten Licht der untergehenden Sonne schimmerten. Die Festung war kaum mehr als ein erweiterter Außenposten. Von ihrem Hauptturm stieg aus einem Kohlebecken, das ununterbrochen glühte, eine dünne Rauchfahne gen Himmel. Gesichert wurde sie von einer halben Hundertschaft thrakischer Hilfstruppen unter dem Befehl eines schon etwas älteren Optio, der sie herzlich willkommen hieß, als die Kolonne durch das Tor ritt.
»Es freut mich, ein paar neue Gesichter zu sehen, Herr.« Er lächelte Macro zu, als der Centurio von seinem Pferd stieg und das Salutieren des Optio erwiderte. »Seit über einem Monat habe ich keine römischen Gesichter mehr gesehen.«
Macro gähnte und streckte seinen Rücken,
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