Die Jagd des Adlers
das alles hört sich so an, als sei dein Sohn ein Mann, den das Reich gut gebrauchen könnte. Er könnte ein sehr guter Soldat bei unseren Hilfstruppen werden. Ich frage mich, ob er wohl jemals darüber nachgedacht hat.«
»Warum sollte er?« Die Bemerkung schien Symeon zu überraschen. »Murad kommt mit seinem Leben ganz gut zurecht, so wie es jetzt ist. Dein Reich könnte ihm nicht einmal ein Zehntel dessen bezahlen, was er mit dem Schutz von Karawanen verdient.«
»Oh«, erwiderte Macro peinlich berührt. »War nur so ein Gedanke.«
Der Tag zog sich kaum anders dahin als der vorherige, und schon bald herrschte eine erstickende Hitze. In einiger Entfernung schimmerte im Jordantal die Hitze wie Quecksilber. Sie überquerten den Fluss am späten Vormittag an einer Stelle, wo er zwischen großen Schilfflächen hin und her mäanderte. Dort befand sich eine Furt, an der das Wasser über ein breites Becken aus Sand und Kieselsteinen strömte, und die Pferde wirbelten beim Durchqueren des Flusses weiß schäumende Gischt auf. Als Cato den Jordan hinaufspähte, sah er am anderen Ufer einen großen, mit Palmblättern belegten Unterstand. In dessen Schatten wartete eine kleine Gruppe von Menschen, die sich um einen Mann versammelt hatten, der sie alle nacheinander ins Wasser tauchte.
Cato zog Symeon am Arm und deutete auf die Versammelten. »Was geht da drüben vor?«
Symeon sah auf. »Dort? Das ist eine Taufe.«
»Eine Taufe?«
»Eine örtliche Tradition. Sie soll dazu dienen, den Menschen, der getauft wird, von seinen Sünden reinzuwaschen. Bei einigen Sekten ist das sehr beliebt. Zum Beispiel bei den Essenern aus Qumran.«
»Dazu wollte ich dich ohnehin etwas fragen«, sagte Cato. »Diese Sekten. Wie viele von ihnen gibt es? Und was unterscheidet sie voneinander?«
Symeon lachte. »Weniger, als du dir vorstellen kannst. Und doch scheinen sie einander leidenschaftlich zu hassen. Lass mich kurz nachdenken … Am besten beginnen wir in Jerusalem. Die wichtigsten Sekten dort sind die Sadduzäer, die Pharisäer und die Makkabäer. Die Sadduzäer sind unbeirrbare Traditionalisten. Sie glauben, dass die heiligen Bücher den unabänderlichen Willen Gottes verkünden. Die Pharisäer sind ein wenig pragmatischer und argumentieren, dass der Wille Gottes mithilfe der heiligen Bücher zu deuten ist. Die Makkabäer ihrerseits tendieren eher zur traditionellen Einstellung. Sie behaupten, dass die Judäer das auserwählte Volk und dazu bestimmt sind, eines Tages über die ganze Welt zu herrschen.« Er lächelte Cato an. »Du kannst dir also vorstellen, was sie davon halten, von Rom regiert zu werden. Sie hassen euch sogar noch mehr, als sie Herodes und seine Nachfolger gehasst haben.«
»Und warum haben sie die gehasst?«
»Weil sie Idumäer waren, die nicht von den ursprünglichen zwölf Stämmen der Hebräer abstammen.«
Macro schüttelte den Kopf. »Das hört sich so an, als seien die Judäer untereinander ziemlich empfindlich. Man fragt sich verdammt noch mal, warum – wo doch jedes Reich über sie hinweggerollt ist, das in dieser Region irgendwelche Interessen hatte.«
Symeon zuckte mit den Schultern. »Vielleicht glauben sie, dass ihr Gott noch etwas ganz Besonderes mit ihnen vorhat.«
»Ihr Gott?« Cato musterte ihren Führer neugierig. »Sicherlich auch deiner, richtig?«
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich diesen Glauben nicht mehr teile.«
»Woran glaubst du dann?«
Symeon antwortete nicht sofort, sondern sah kurz zu der fernen Gruppe von Menschen hinüber, die gerade getauft wurden, bevor er etwas erwiderte. »Ich bin mir nicht mehr sicher, woran ich glaube.«
»Was ist mit diesen Leuten, durch deren Dorf wir gestern gekommen sind?«, warf Macro ein. »Die Essener oder wie du sie genannt hast.«
»Die Essener«, bestätigte Symeon. »Ihre Überzeugung ist recht simpel. Die Essener glauben, dass die Welt der Menschen verdorben, böse und nicht vom wahren Geist durchdrungen ist. Das ist auch der Grund dafür, warum sich Gott Judäa gegenüber so gar nicht wohlgesonnen zeigt. Sie versuchen, ein einfaches, schmuckloses Leben zu führen. Aller Besitz gehört der Gemeinschaft, und sie richten ihr Leben streng nach den Worten der heiligen Bücher aus.«
»Also nicht gerade die erste Wahl, wenn man nach einem Saufkumpan Ausschau hält?«
Der Führer musterte Macro. »Nein, vermutlich nicht.«
»Gibt es noch mehr Sekten, über die wir Bescheid wissen sollten?«
»Nur noch eine. Die meisten Mitglieder
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