Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
die Augen, doch der Raum war völlig dunkel.
Einen Augenblick lang glaubte sie, wieder in Evelyns Haus zu sein. Doch dann fiel ihr auf, dass sie nicht in einem Schlafsack, sondern in einem richtigen Bett lag.
Mit einem Mal erinnerte sie sich, was bei Evelyn geschehen war.
Sie erinnerte sich an alles, und schließlich wusste sie auch, wo sie war.
In Indio. Wir sind in diesem Motel – das Traveler’s Roost – genau gegenüber der Tankstelle.
Aber weshalb war sie aufgewacht?
Sie lag auf dem Rücken, starrte an die finstere Decke und lauschte. Außer dem lauten Summen der Klimaanlage herrschte völlige Stille. Selbst von ihrem Vater, der normalerweise so laut schnarchte, dass es einen in den Wahnsinn treiben konnte, war nichts zu hören.
Wenigstens etwas, dachte sie.
Trotzdem war da ein Geräusch gewesen, laut genug, um sie aufzuwecken.
Vielleicht hatte jemand eine Tür zugeknallt oder geschrien oder …
Wahrscheinlich nichts Dramatisches.
In jener Nacht hat Evelyn Glas splittern gehört. Und da habe ich auch gedacht, es wäre nichts.
Mit einem Mal wurde ihr heiß unter der Bettdecke, und sie schlug sie zur Seite. Besser. Am liebsten hätte sie sich auch das Nachthemd ausgezogen, aber das ging nicht, weil Dad im selben Raum schlief.
Was immer es auch war, dachte sie, bestimmt kein zerbrochenes Glas.
Hier sind wir sicher. Niemand ist uns nach Indio gefolgt. Niemand weiß, dass wir hier sind.
Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ihr kurzes Haar war schweißnass. Sie schloss die Augen.
Und riss sie sofort wieder auf, als jemand dreimal hintereinander hastig gegen die Tür klopfte.
Vielleicht war das nicht unsere Tür!
Doch. Da war kein Zweifel möglich.
»Dad«, sagte sie atemlos. »Dad! Da ist jemand an der Tür.«
Er antwortete nicht.
Sie stand auf, ignorierte ihre Schmerzen und humpelte zum anderen Bett hinüber.
Vielleicht ist es Sharon, dachte sie.
Und wenn nicht ?
Sie beugte sich über das Bett und streckte die Hand nach ihrem Vater aus, konnte jedoch nur eine zerwühlte Bettdecke und die Matratze darunter ertasten.
Wo ist er hin?
Sie machte einen Schritt zur Seite und suchte nach der Lampe zwischen den Betten. Endlich fand sie den Schalter, und plötzlich wurde es so hell, dass sie stöhnend die Augen zusammenkneifen musste.
Dads Bett war leer. Genau, wie sie vermutet hatte.
Ob er im Badezimmer ist?
»Jody?«, ertönte eine flüsternde Stimme.
Sie seufzte vor Erleichterung tief auf. »Dad.« Sie humpelte zur Tür. Wahrscheinlich war er rausgegangen und hatte den Schlüssel vergessen.
So was Blödes passierte ihm sonst nie.
Jody musste grinsen.
Darauf konnte sie bis zum Ende seiner Tage herumreiten.
»Toll gemacht, Dad«, sagte sie und riss die Tür weit auf.
Da wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Einen großen Fehler – genau wie gestern, als sie Dads Warnung in den Wind geschossen hatte und einfach mit den Hamburgern in den Garten spaziert war.
Sie hätte sich davon überzeugen müssen, dass er es wirklich war, bevor sie die Tür öffnete.
Ein solcher Fehler könnte mich umbringen, dachte sie.
Diesmal hatte sie Glück gehabt.
Es war zwar nicht ihr Vater, aber auch kein Killer.
»Andy!«
Sie packte ihn an den Armen und zerrte ihn ins Zimmer. Dann streckte sie den Kopf aus der Tür und sah sich um. Die lange Galerie des Motels war verlassen.
»Keine Angst, mich hat keiner gesehen«, sagte Andy. »Ich war ganz vorsichtig.«
Sie schloss die Tür und sperrte ab. Dann sah sie ihn an. Er grinste.
»Du Idiot!«, platzte sie heraus.
»Wer, ich?«
Sie umarmte ihn fest, drückte ihn mit aller Kraft gegen ihren zerschundenen Körper. Sie hoffte, dass es ihm genauso weh tat wie ihr.
Er wehrte sich nicht, sondern schmiegte sich an ihren Hals und ließ seine Hände langsam über ihren Rücken gleiten. Er versuchte nicht einmal, sie zu befummeln. Seine Hände blieben stets oberhalb der Gürtellinie.
»Du kleiner Idiot«, flüsterte Jody.
»Freust du dich nicht, mich zu sehen?«
»Ich sollte dich …« Beinahe hätte sie »umbringen« gesagt. »Mann, jetzt kriegst du einen Riesenärger.«
»Und?«
Sie schob Andy von sich. Sein Gesicht war dreckig und puterrot. Das rote Hemd, das sie ihm geliehen hatte, stand offen, und seine Brust und sein Bauch waren schweißbedeckt. Jody bemerkte, dass sich einige seiner Verbände gelöst hatten. Die Wunden darunter sahen ziemlich übel aus, bluteten jedoch nicht.
Die blaue Jeansshorts hing tief auf seiner Hüfte und
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