Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
»Willst du wissen, wie ich das geschafft hab?«
»Das weiß ich schon. Du hast so getan, als müsstest du aufs Klo. Und dann bist du weggelaufen.«
»Ach ja? Und wohin?«
»Keine Ahnung, aber …«
»Ich bin nämlich gar nicht weggelaufen.« Er beugte sich über sie und grinste listig. »Sondern geklettert.«
»Was?«
»Ich bin auf das Dach der Tankstelle geklettert.«
»Du machst wohl Witze.«
»Erst wollte ich ja auch wegrennen. Einfach so weit weg wie möglich von diesem Spinner. Danach wollte ich irgendwie nach L. A., per Anhalter oder mit dem Bus. Doch dann hab ich gesehen, dass die Tür zum Klo offen stand. Das war praktisch wie eine Einladung, aufs Dach zu steigen.«
»Du bist auf die Tür geklettert?«
»Klar. Man muss sich nur am Rahmen festhalten und die Knie auf die Klinke stellen. Dann kann man aufstehen und sich hochziehen. Und wenn man mal auf der Tür ist, ist es bis zum Dach nicht weit.«
Jody schüttelte beeindruckt den Kopf. »Du warst die ganze Zeit über auf dem Dach?«
»Genau.«
»Und niemand hat dich gesehen?«
»Um das Dach herum ist so eine kleine Mauer. Ich musste mich einfach nur ducken, da konnte mich vom Boden aus keiner entdecken.«
»Wow.«
»Ich dachte schon, ich wäre aus dem Gröbsten raus, und dann tauchte plötzlich die Polizei auf. Mann, ich hätte nicht gedacht, dass Onkel Willy gleich die Bullen holen würde.«
»Hat er auch nicht, um genau zu sein«, sagte Jody. »Er hat meinen Vater angerufen. Aber der war nicht da, also hab ich mit ihm gesprochen. Und dann hab ich ihn an Sharon weitergegeben. Willy wollte einfach wegfahren, aber …«
»Darauf habe ich gebaut. Ich dachte, dass er froh wäre, mich endlich los zu sein und nach Hause fahren zu können. «
»Das wollte er erst auch«, sagte Jody, »aber Sharon hat ihm befohlen zu bleiben. Sie hat auch die Polizei hier in Indio verständigt. Alle haben nach dir gesucht, die Cops, die Highway Patrol, Willy, wir …«
»Ich weiß, ich weiß. Aber niemand ist auf die Idee gekommen, auf dem Dach nachzusehen. Du ja auch nicht.«
»Hast du mich beobachtet?«
»Klar. Ich habe gehört, wie dein Dad mit Willy Wiesel geredet hat. Da habe ich schon eine Ewigkeit auf dem Dach gesessen. Seit Stunden. Ich konnte zwar nichts verstehen, aber ich erkannte die Stimmen. Also riskierte ich einen Blick und sah euch beide. Ihr wart genau unter mir. Mann, ich hätte heulen können vor Glück.«
»Warum zum Teufel bist du nicht einfach runtergekommen? «
»Damit mich Willy wieder ins Auto steckt oder was?«
»Kurz nachdem wir gekommen sind, ist er weggefahren. «
»Echt?«
»Hast du das nicht gesehen?«
»Nein! Ich wollte nicht, dass mich jemand entdeckt. Ich hab nur ab und zu runtergelinst. Die Frau – Sharon? – hab ich auch nicht gesehen.«
»Sie war die ganze Zeit bei uns.«
»Unmöglich.«
»Na ja, sie hat sich kurz mal umgesehen.«
»Ich hab sie erst gesehen, als sie deinem Dad die Tür aufgemacht hat.«
»Bist du uns ins Motel gefolgt?«
»Genau. Ich habe gehört, wie ein Auto losfuhr und dachte, das seid bestimmt ihr. Als ich euch wegfahren sah, habe ich gedacht, dass ich es endgültig vermasselt
hätte. Willy war weg und die Cops auch. Ich wäre am liebsten runtergesprungen und euch hinterhergerannt.«
»Zum Glück hast du das nicht getan. Wahrscheinlich hättest du dir alle Knochen gebrochen.«
»Kann sein. Nein, auf noch so einen Sprung hatte ich keine Lust. Also hab ich euer Auto beobachtet. Und wie durch ein Wunder habt ihr direkt gegenüber vor dem Motel wieder angehalten.«
»Das haben wir absichtlich gemacht, für den Fall, dass du uns beobachtest. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du wirklich auftauchen würdest. Du warst die ganze Zeit über hier? Mann. Genau vor unserer Nase.«
»Über eurer Nase.«
Jody lächelte. »Ich hab ihnen ja gesagt , dass wir dich erst finden, wenn du es willst.«
Er hob die Augenbrauen.
Ihr Lächeln verschwand. »Jetzt gehen wir besser rüber und erzählen meinem Vater und Sharon die ganze Geschichte. «
Andy fletschte die Zähne. »Aaaaaach.«
»Wir müssen.«
»Kann das nicht noch warten?«
»Auf keinen Fall. Es sind immer noch eine Menge Leute auf der Suche nach dir. Das wäre nicht fair.« Sie stand auf. »Los.«
Andy setzte eine leidende Miene auf und rührte sich nicht.
»Komm schon.«
»Sie werden mich dafür hassen.«
»Nein. Sie sind auf deiner Seite. Was glaubst du denn, weshalb sie sonst mitten in der Nacht hier rausgefahren
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