Die Jagd nach Millionen
seinem langen
Rock schien sie mehrmals anreden zu wollen; halb wäre es ihr
erwünscht gewesen, halb fürchtete sie sich davor. Sie
begegneten einander so häufig, daß er ihr
allmählich wie ein Bekannter vorkam und sie vielleicht Mut
gefaßt hätte mit ihm zu sprechen, aber jetzt wurde er
abgelöst und der neue war ihr fremd.
Endlich erschien Engel mit einem Neger, der sein
Gepäck trug und es auf eine Droschke lud. Es war jetzt so
dunkel, daß sie ohne Scheu eine zweite herbeiwinkte und dem
Kutscher befahl, der seinigen zu folgen.
Beide Wagen gelangten zum Hauptbahnhof mit seinem
Höllenlärm und seiner hastenden Menschenflut. In der
Vorhalle traf Engel zwei Herren, die ihr wohl bekannt waren –
Anise und Vogel. Sie trieb sich mit wild pochendem Herzen am
Billetschalter herum, denn sie fürchtete, die verschleierte
Gestalt, die ihn so unablässig verfolgte, müsse Engel
endlich auffallen. Die beiden Spießgesellen traten heran und
lösten Fahrkarten nach San Francisco. Engel mußte die
seinige in dem Reisebureau besorgt haben, falls er überhaupt
ging. Sie kannte ihn durch ihren Vater als den Mann, der sich immer
eine Hinterthür offen hält und aus fünfzig
Gründen scheinbar reisen will, aus fünfzig andern
bleibt.
Erst im allerletzten Augenblick, als er sich schon
häuslich im Wagen eingerichtet, sein Gepäck
untergebracht und den Hut mit einer Reisemütze vertauscht
hatte, flog sie mit dem abgezählten Geld in der Hand an den
Schalter zurück.
»Nach San Francisco – ein ...«
»Höchste Zeit ... der Zug fährt
eben ab.«
Er fuhr ab, doch nicht ohne Marie Harcourt, die sich eben noch
hineinschwingen konnte.
Dreizehntes Kapitel
Eine Stunde verstrich, ehe sie dazu kam, sich die tolle
Unbesonnenheit ihrer Handlungsweise in ihrem ganzen Umfang klar zu
machen. Eine Reise von fünf Tagen und Nächten ohne
das geringste Gepäck, ohne Kamm und Zahnbürste!
Völlig abgeschnitten von allen, die sie kannten! In ein und
demselben Zuge mit einem Trio von Gaunern, die jedes Verbrechens
fähig waren, wenn es ihrem Zweck diente!
Jetzt erschrak sie vor ihrer Ueberstürzung, und an
der ersten Haltestelle dachte sie schon daran, das mit solcher Gefahr
verknüpfte Unternehmen aufzugeben. Doch ein harmloses,
unscheinbares weibliches Wesen gab sich alle Mühe, mit ihr ins
Gespräch zu kommen. Sie mußte durchfahren nach San
Francisco, wo ihr Mann sie erwartete, und war voll Angst, Unruhe und
Aufregung über dieses Wagnis. Diese kindische Aengstlichkeit
zu beschwichtigen, that Marie wohl und sie wagte auch, eine harmlose
kleine Täuschung auszuspielen. Sie erzählte der
Gefährtin, daß sie all ihr Gepäck verloren
habe, und die gute Seele war mit Freuden bereit, ihr mit dem
Nötigsten auszuhelfen. Die beiden schlossen eine Art von Pakt:
die junge Frau war arm, Marie dagegen wenigstens für den
Augenblick wohl mit Geld versehen.
Engel und Genossen hielten sich hauptsächlich im
Rauchwagen auf, was die Gefahr einer Begegnung verringerte, nur vor den
gemeinsamen Mahlzeiten im Speisewagen hatte Marie Todesangst, denn es
war ja kaum denkbar, daß sie die ganze Reise über
unbemerkt bleiben konnte. Dafür aber mochte die Zukunft
sorgen, jetzt galt es, sich einen Plan auszudenken. Gleich zu Anfang
der Reise hatte sie sich von dem Mulatten, der die Reisenden bediente,
einen Briefumschlag geben lassen und ein paar Zeilen an ihren Vater
geschrieben, die der Mann auf der nächsten Station in den
Postkasten werfen wollte. Sie gab ihm ein reichliches Trinkgeld und
stellte sich dann schlafend, um dem Geschwätz der
Gefährtin entgehen und weitere Pläne entwerfen zu
können. Sobald sich die Möglichkeit dazu bot, gab sie
ein Telegramm auf, das lautete:
»Inspektor
Prickett,
englische Geheimpolizei,
Fahrgast der kanadischen Pacificlinie nach Vancouver.
Engel, Vogel und Anise unterwegs nach San
Francisco. Ich fahre
im selben Zuge.
Marie
Harcourt.«
Nachdem dies erledigt war, fühlte sie sich etwas
erleichtert, aber der Schlaf dieser Nacht war durch schwere
Träume gestört, und am nächsten Morgen kam
sie Aug' in Auge mit Engel zu stehen! Sie mußte, um rasch ins
Damenzimmer zu gelangen, durch einen Schlafwagen gehen, als zwischen
den herabgelassenen Vorhängen plötzlich sein
zerzauster Kopf herausfuhr. Er starrte sie an, als ob er einen Geist
gesehen hätte, und ihr versagten die Füße
den Dienst; es war, als ob ihr Herz stillstände.
Mühsam schleppte sie
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