Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
mit wem sie angeblich verabredet war“, wiederholte Rosemarie Wilnowski langsam, als wäge sie jedes ihrer Worte sorgfältig ab. „Aber sie hat gesagt, wen sie sehen würden…“
„So?“ Winnie merkte, wie ihr Herz schneller schlug. „Wen denn?“
Zu ihrer Überraschung lachte Rosemarie Wilnowski auf einmal laut los. Ein unangenehmes, schrilles Lachen, an dem die Augen nicht beteiligt waren.
Wie viel unechtes Lachen habe ich in den letzten Tagen gehört?, dachte Winnie. Diese Leute spielen alle Theater. Jeder einzelne von ihnen. „Wen plante Ihre Schwester am Morgen ihres Verschwindens zu sehen?“, fragte sie noch einmal.
„Den Nöck“, kicherte Rosemarie Wilnowski vor sich hin. „Sie hat gesagt, sie woll ten den Nöck besuchen.“
5
Verdammt, verdammt, verdammt!
„Bleib sofort stehen, du dreckiges Mistgör!“
Miriam Lauterbach rennt so schnell sie kann, aber seine Stimme kommt immer näher. Er ist schnell. Viel schneller als sie selbst, wie sie schmerzlich erkennen muss.
„Stehenbleiben habe ich gesagt!“
Sie fühlt seine Hand in ihrem Rücken, spürt, wie sie herumgerissen wird, und für einen kurzen Moment hat sie solche Angst, dass sie ihn nicht einmal ansehen kann, obwohl er wie wild auf sie einbrüllt. Sein Gesicht ist direkt vor ihr, und seine Stimme hämmert in ihren Ohren, dass sie wirklich und wahrhaftig das Gefühl hat, ihr Trommelfell würde platzen. Trotzdem hält sie die Augen fest geschlossen in der irrwitzigen Hoffnung, es würde irgendwie vorbei gehen. Er würde sich in Luft auflösen oder so etwas ähnliches.
Doch diesen Gefallen tut er ihr nicht.
„Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir spreche“, schreit er, und seine riesigen Hände liegen wie zwei Schraubstöcke um ihre Oberarme. „Wie heißt du?“
Sie denkt nicht im Traum daran, ihm zu sagen, wie sie heißt, und jetzt erwacht auch endlich ihr Kampfgeist. Den einzigen Ratschlag, den Mama ihr jemals gegeben hatte, beherzigend, tritt sie dem Kerl mit aller Kraft in den Unterleib. Und sie hat Erfolg: Er schreit noch mehr, und für ein paar Sekunden lockert sich sein Griff.
Sie versucht, sich ihm zu entwinden, aber er fängt sich schnell und packt sie erneut bei den Schultern. Ihr Herz rast. Jetzt schlägt er mich tot, denkt sie, als sie urplötzlich eine neue Stimme hört.
Eine Frau …
„Sind Sie verrückt geworden, das arme Kind so zu schütteln?“
Sie klingt nett, ein bisschen wie ihre alte Kindergärtnerin, und die konnte sie gut leiden. Aus den Augenwinkeln riskiert sie einen Blick.
„Lassen Sie sie auf der Stelle los.“
Die Frau ist älter als ihre Kindergärtnerin, aber sie sieht genauso freundlich aus in ihrem hellgrünen T-Shirt und dem khakifarbenen Leinenrock.
„Sie hat gestohlen“, rechtfertigt sich der Fürchterliche, der sie noch immer umklammert hält. Allerdings nicht mehr so fest wie zuvor. „Ich habe sie dabei erwischt, wie sie sich das hier in ihre Tasche gestopft hat und davonrannte.“ Seine Pranke zeigt auf die vier Tafeln Schokolade, die vor ihr auf dem Boden liegen.
„Das ist doch noch lange kein Grund, wie ein Berserker auf sie loszugehen.“ Die Nette beugt sich zu ihr herunter.
Zugleich fühlt sie, wie der Fürchterliche endlich von ihr ablässt. Da, wo seine Hände waren, kribbelt die Haut, aber sie fasst nicht hin. Diesen Triumph gönnt sie ihm nicht.
Die Nette lächelt sie an. „Du brauchst keine Angst mehr zu haben.“
„Die hat keine Angst“, fällt ihr der Fürchterliche ins Wort. An seiner Schläfe pocht eine Ader so sehr, dass man sie sehen kann. Klopf, klopf, klopf, als ob die Haut platzen will. „Glauben Sie mir, ich kenne den Typ. Ein ganz abgebrühtes Luder ist das.“
„Jetzt halten Sie endlich Ihre verdammte Klappe!“, herrscht die Nette ihn an, und Miriam muss sich arg zusammenreißen, um nicht über sein dummes Gesicht zu lachen.
„Ich hole die Polizei“, sagt der Fürchterliche und zerrt sein Handy hervor.
„Tun Sie das“, antwortet die Nette ruhig, ohne einen Blick von ihr zu lassen. „Rufen Sie die Polizei und am besten auch gleich Ihren Chef, damit ich mich über Ihr unangemessenes Verhalten beschweren kann. Und wenn das Kind sich verletzt hat, kriegen Sie einen Heidenärger, verlassen Sie sich darauf.“
Der Fürchterliche zögert. „Wie heißen deine Eltern?“, wendet er sich dann plötzlich wieder an sie.
Miriam antwortet ihm nicht.
„Weißt du eure Telefonnummer?“
Klar weiß sie die, aber bevor sie
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