Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
schnellten in die Höhe und auf Rosemarie Wilnowskis Gesicht erschien derselbe Unglauben wie vor zwei Tagen bei Yvonne Paland. „Du liebe Zeit, das war der einzig Normale in diesem Haushalt, glauben Sie mir.“ Sie bekräftigte ihre Aussage durch ein entschiedenes Kopfnicken. „Und wenn Sie schon nach Dreck suchen, dann sollten Sie vielleicht lieber bei den Großeltern anfangen. Ich sage Ihnen, der alte Lösche war einer von der ganz schlimmen Sorte. Konnte seine verdammten Finger nicht eine Sekunde bei sich lassen.“
Ihre Züge wurden hart, und Winnie bezweifelte keine Sekunde, dass Rosemarie Wilnowski dieser Sorte Mann in ihrem Leben nur allzu oft begegnet war. Einerseits war sie froh, dass sich eine ihrer Theorien als richtig entpuppte. Andererseits schlug sie sich mit dem Gefühl herum, dass sie sich weiter und weiter von ihrem eigentlichen Fall entfernte. Von den entführten Kindern ganz zu schweigen. Sie strich sich ein paar verirrte Haare aus der Stirn. Trotzdem musste das alles irgendwie zusammenhängen. Lillis Todestag. Ihr Wissen über die Bender-Entführung. Viola Krempinskis Socke in der Toilette des Weiherhauses. Oder konnte es so viele Zufälle geben?
„Wissen Sie, ob dieser Herr Lösche auch Lilli und ihre Schwestern belästigt hat?“, wandte sie sich wieder an ihre Gesprächspartnerin.
„Er hat mich belästigt.“ Die Art, wie Rosemarie Wilnowski die Unterlippe vorschob, erinnerte Winnie an ein trotziges Kind, und mit einem Mal begriff sie, worin die Tragik im Leben dieser Frau lag. Es ist immer um andere gegangen, dachte sie. Niemals um sie. Anderen war Schlimmes zugestoßen, und über dieses Schlimme hatte man Rosemarie Bender einfach vergessen. Die schöne, heile Rosemarie. Die überlebende Tochter. Die Übriggebliebene. Winnie erschrak, als für einen flüchtigen Augenblick wieder das Bild ihrer eigenen Schwester vor ihr aufblitzte. Elli am Flügel. Elli im Rampenlicht. Elli im schwarzen Kleid. Lächelnd. Winkend. Und omnipräsent.
„Was wissen Sie noch von dem Tag, an dem Ihre Schwester verschwand?“, wechselte sie hastig noch einmal das Thema.
Rosemarie Wilnowski hob den Kopf. „Was hat denn das mit Lillis Tod zu tun?“
„Das wissen wir nicht.“
„Aber es hat etwas mit Lilli zu tun?“
Da war etwas in ihrer Stimme, das Winnie nicht deuten konnte. Nicht Überraschung. Etwas anderes …
„Es könnte sein, dass Lilli etwas beobachtet hat.“ Sie wusste, sie durfte eigentlich nicht darüber sprechen. Sie hatten keine Beweise. Es war nichts als eine Möglichkeit. Eine weitere Theorie. Vielleicht auch eine Sackgasse. Andererseits spürte sie, dass Rosemarie Wilnowski nicht weitersprechen würde, wenn sie ihr diesen Knochen nicht vorwarf. „Sie könnte etwas gesehen haben, an diesem Tag im Juli.“
„Etwas, das mit Eddas Verschwinden zu tun hat?“
Wenn sie das ihrer Mutter erzählt!, pochte es hinter Winnies Stirn. Dann wird Hannah Bender glauben, wir enthalten ihr Informationen vor. Sie wird neue Hoffnung schöpfen. Und sie wird uns die Hölle heiß machen.
„Es wäre möglich“, antwortete sie ausweichend.
Rosemarie Wilnowski schien nachzudenken. „Ich habe sie gesehen an dem Tag“, sagte sie plötzlich, wieder mit diesem seltsamen Unterton.
„Lilli?“
Sie nickte. „Ich konnte nicht besonders gut schlafen, damals. Es war ja so heiß. Deshalb bin ich morgens immer schon ganz früh in den Garten gegangen.“ Sie zog die Schultern hoch, ohne ihr Gegenüber anzusehen. Eine leere, scheinbar bedeutungslose Geste, hinter der man eine Not vermuten konnte. Wie eine Übersprungshandlung bei Tieren, die in die Enge getrieben plötzlich nach nicht vorhandenem Futter pickten anstatt zu fliehen. „Dort war es am kühlsten.“
„Und dann?“
„Na ja, ich hatte nicht viel an, verstehen Sie?“ Der Schleier über Rosemarie Wilnowskis Augen verdichtete sich. „So einen ziemlich knappen Bikini, rot, glaube ich, und ich hatte damals schon richtig was drin, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Ihr Blick streifte Winnie s Bluse, und die stimmte pflichtschuldig in ihr Lachen ein, auch wenn sie sich in einem wunden Punkt getroffen fühlte. Ihre Oberweite war leider weitaus üppiger, als ihr lieb war, und es gelang ihr trotz ernsthafter Bemühungen meist nur unvollkommen, die geballte Pracht unter weiten Shirts oder Pullovern zu verstecken.
„Aber ich war , wie gesagt, auch erst dreizehn damals, verstehen Sie?“ Rosemarie Wilnowski fuhr sich durch die Haare. Ihre Miene war
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