Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Brünings Gegenwart über Lilli zu sprechen. Doch der schien irgendwo unterwegs zu sein.
Verhoeven hingegen saß in ihrem improvisierten Büro und hörte zum wiederholten Male die Tonbandaufzeichnung seines Gespräches mit Corinna Schilling ab.
„Hi“, sagte Winnie, während sie sich vergeblich darum bemühte, ihre völlig zerknitterten Blusenärmel aufzukrempeln.
„Hi.“ Er sah sie an. „Ärger gehabt?“
Sie lachte. „Nein, nur im Wald verlaufen.“
„Wie bei Hänsel und Gretel, was?“ Verhoeven lachte auch. „Kaffee?“
„Immer.“ Winnie ließ sich auf einen der Stühle fallen und hielt ihm die Tüte mit belegten Brötchen unter die Nase, die sie auf dem Rückweg besorgt hatte.
„Nein, danke.“
„Aber Sie müssen was essen.“
„Sagt wer …?“
„Sage ich.“
Verhoeven lächelte und nahm sich ein Mohnbrötchen mit Schinken. „Das, was Corinna Schilling gezeichnet hat, ist tatsächlich ein Camcorder.“
Winnie nickte. „Glauben Sie, unser Mann will die Aufnahmen verkaufen oder ins Netz stellen?“
Er zuckte die Achseln. „In dieser Szene ist Frischfleisch ja leider immer willkommen, und wenn man weiß, wo man das Zeug absetzen kann …“ Seine Hand schwebte über dem Diktiergerät, aber er schaltete es nicht wieder ein. „Ich habe eben mit den Kollegen von der Sitte gesprochen. Sie wollen sich mal umhören. Die einschlägigen Läden abklappern und so.“ In seiner Stimme schwang Resignation. Maßnahmen wie diese brauchten Zeit. Zeit, die sie nicht hatten.
Und wenn Ann-Kathrin Jehninger nicht von selbst wieder auftauchte …
„Was ist denn in den Gesprächen mit den Eltern rausgekommen?“ Sie verteilte die Brötchen auf einem reichlich angeschlagenen Teller und platzierte ihn auf dem Tisch zwischen ihnen. „Irgendwelche Hinweise darauf, dass er außer Corinna und Miriam noch andere Kinder gefilmt hat?“
Ihr Vorgesetzter schüttelte den Kopf. „Bislang nicht. Aber er muss ja auch nicht unbedingt aufgefallen sein. Vor allem, wenn er hauptsächlich Kinder wie Miriam Lauterbach gefilmt hat. Sie wissen schon, Kinder, auf die niemand ein Auge hat. Die herumstromern. Und die erst vermisst werden, wenn alles zu spät ist.“
„Vielleicht hat ja gerade diese Tatsache Miriam das Leben gerettet“, gab sie zu bedenken, „Dass sie früh lernen musste, auf sich aufzupassen, meine ich.“
„Ja“, sagte Verhoeven. „Vielleicht.“ Er kaute eine Weile schweigend. „Aber sagen Sie … Was hatte Sie denn eigentlich in diesen Wald verschlagen?“
Winnie hatte die gesamte Rückfahrt darauf verwendet, sich gegen Fragen wie diese zu wappnen. Trotzdem spürte sie, wie sie rot wurde. „Es war … Ich habe heute Vormittag kurz mit Edda Benders Schwester gesprochen, wissen Sie, und …“ Sie hielt inne und wartete, dass er Zwischenfragen stellte. Ihr Vorwürfe machte. Wie können Sie es wagen, die schöne Rosie zu besuchen, in einer Situation wie dieser, in der es an allen Ecken und Enden brennt? Noch dazu hinter meinem Rücken?
Doch Verhoeven sagte nichts dergleichen. Er saß einfach da und hörte zu, während sie ihm von den Gesprächen berichtete, die sie in der Zwischenzeit geführt hatte. Den autorisierten und den anderen. „Es war also tatsächlich Lilli, die wegen psychischer Probleme behandelt wurde?“, fragte er, als sie geendet hatte. „Nicht Lorna?“
„Nein, Lorna war zu diesem Zeitpunkt schon vier Jahre tot. Aber es gibt einen anderen interessanten Bezug zu diesem Klinikaufenthalt.“
„Nämlich?“
Sie klopfte sich ein paar Krümel von der Bluse und angelte ihren Notizblock aus der Handtasche. „Lilli Dahl wurde Anfang Dezember 1971 nach St. Vinzenz gebracht, nur vier Monate nach Edda Benders Verschwinden.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
Sie lächelte. „Rosemarie Wilnowski hat mir erzählt, dass sie Lilli am selben Tag, an dem ihre Schwester verschwand, in der Nähe ihres Hauses gesehen habe“, sagte sie anstelle einer Antwort. „Und Edda hatte ihr am Tag zuvor eröffnet, dass sie für den bewussten Morgen verabredet sei.“
„Sie denken also, Lilli Dahl und Edda Bender wollten an jenem Tag zum Weiher, um einen Wassergeist zu beobachten ?“, resümierte Verhoeven, was er ihrem vorangegangenen Bericht entnommen hatte.
Winnie nickte. „Diese Nöck-Geschichte scheint hier in Brixenheim ja ziemlich populär zu sein. Ich habe schon eine ganze Reihe von Leuten getroffen, die unabhängig voneinander darüber sprachen.“
„Angenommen, Sie hätten r
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