Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Alten entspannten sich, und er wirkte jetzt beinahe amüsiert. „Ich brauche nichts.“
„Sie werden einen Anwalt brauchen“, versetzte Verhoeven.
Sein Gegenüber antwortete mit einem süffisanten Lächeln. „Ja, vielleicht.“
„Ich kann dafür sorgen, dass Ihnen ein Pflichtverteidiger zugeteilt wird.“ Verhoeven hielt inne, weil ihm das, was er sagte, schrecklich hölzern und unpersönlich vorkam. Zugleich empfand er es als seine moralische Verpflichtung, den alten Mann noch einmal ausdrücklich auf seine Rechte hinzuweisen. Gut möglich, dass Jasper Fennrich sich der Schwere der gegen ihn erhobenen Vorwürfe gar nicht bewusst war. Trotz der scheinbaren Freiwilligkeit seines Geständnisses. Vielleicht war er nicht einmal in der Lage, selbst zu entscheiden, auf welche Fragen er antworten sollte und auf welche er besser schwieg. Immerhin schien er seit Jahrzehnten wie ein Eremit gelebt zu haben.
Verhoeven dachte an die Abfallberge neben dem Eingang der Hütte.
Was wusste denn einer wie Fennrich über die Folgen, die jedes Wort, das er von nun an sagte, haben konnte?
„ Ich nehme an, Sie sind darüber informiert, dass ein Verbrechen wie das Ihnen zur Last gelegte juristischer Unterstützung bedarf. Und …“
„… und wenn ich mir keinen Anwalt leisten kann, ist Vater Staat so freundlich, mir einen zur Verfügung zu stellen“, unterbrach ihn Fennrich, noch immer amüsiert. „Ja, ich weiß.“
„Gut“, entgegnete Verhoeven betont unsentimental, auch wenn ihm noch immer nicht ganz wohl dabei war, den Alten zu befragen, ohne dass dieser einen Rechtsbeistand an seiner Seite hatte. „Dann wäre das also geklärt.“
„Ja“, brummte Fennrich. „Das wäre geklärt.“
Bis auf das Geräusch ihres Atems schien es für quälend lange Sekunden keinerlei Geräusche mehr zu geben. Kein Verkehrslärm. Keine Gesprächsfetzen, die von irgendwoher an ihre Ohren drangen. Nicht einmal das Klingeln eines Handys. Nur das Schweigen des Alten und das Geräusch seines rasselnden Atems.
„Ich habe mir Ihre Frau genau angesehen.“ Verhoeven hatte keine Ahnung, warum er das sagte. Vielleicht weil er die Reaktion seines Gegenübers sehen wollte. „Sie ist sehr zierlich gewesen.“
Fennrich zuckte gleichgültig die Achseln. „Das täuscht“, entgegnete er. „Sie war verdammt zäh.“
„Und warum haben Sie sie getötet?“, kam Verhoeven abermals auf den Grund seines Hierseins zu sprechen.
Der Alte hob abermals die Achseln, genau wie es der Beamte in der Hütte es getan hatte, wann immer er nach Lilli Dahl gefragt hatte. Und Verhoeven begann sich zu fragen, ob der Tod einer Frau tatsächlich derart viel Ratlosigkeit auslösen konnte. Oder ob nicht doch noch etwas anderes dahinter steckte.
„Warum haben Sie Ihre Frau getötet?“, wiederholte er, wobei er sich keinerlei Mühe gab, seine wachsende Ungeduld zu verbergen.
„Vielleicht hatte ich einen guten Grund ...“
„Welchen?“
Fennrichs Augen glitten weg. „Sie werden nichts finden“, knurrte er nach einer Weile, und Verhoeven hatte den unbestimmten Eindruck, dass der alte Mann diesen letzten Satz an sich selbst gerichtet hatte. Als versuche er auf diese Weise, sich Mut zuzusprechen.
Sie werden nichts finden …
Seine Blicke blieben an den zerschlissenen Manschetten seines Gegenübers hängen, die Fennrich – offenbar als spärliches Zugeständnis an die Wärme – nicht zugeknöpft, sondern umgeschlagen hatte. „Gäbe es denn etwas zu finden?“
In den Augen des Alten lag ein neuer Ausdruck, als er kurz hochsah.
„Was werde ich nicht finden?“, beharrte Verhoeven.
Fennrichs Miene wurde steinern, wodurch die hohen, slawischen Wangenknochen noch schärfer hervortraten. „Nichts“, murmelte er, und urplötzlich strahlte er eine unendliche Müdigkeit aus.
Körperliche und geistige Erschöpfung schien ihm buchstäblich aus allen Poren zu quillen, und Verhoeven musste sich gehörig zusammenreißen, um sein Mitleid im Zaum zu halten. Dieser Mann hat nicht geschlafen, dachte er. Er sieht aus, als ob er in den letzten achtundvierzig Stunden nicht eine einzige Sekunde geschlafen hat. Seine Augen suchten wieder die Manschetten am Hemd des Alten. Wo war Fennrich gewesen, nachdem er seine Frau ermordet hatte, gestern am frühen Abend? Bei ihr? Am Bett neben ihrer Leiche? Oder war er unterwegs gewesen? Warum hatte er die Polizei erst mit fünfzehn Stunden Verspätung angerufen? Und warum hatte er sie überhaupt angerufen und den Tod einer Frau
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