Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
offiziell unter der Adresse des Weiherhauses. Ein Umstand, der Verhoeven gehörig ins Grübeln gebracht hatte. Wie haben Lillis Eltern ihre Tochter für tot halten können, dachte er, wo sie doch in Wirklichkeit nur ein paar Kilometer entfernt gelebt hat? Es hätte lediglich einer formlosen Anfrage bedurft, sich Gewissheit zu verschaffen. Er kniff die Augen zusammen. Warum war diese Anfrage unterblieben?
„ Dann lasse ich Sie einfach mal allein.“
„Danke.“
„Keine Ursache.“
Er hörte, wie der Beamte in seinem Rücken die Tür wieder abschloss. Und wie komme ich nachher hier raus?, dachte er. Soll ich mit den Fäusten gegen die Tür hämmern, wenn ich fertig bin?
Mit einem unwilligen Kopfschütteln setzte er sich auf den einzigen Stuhl und zog das Diktiergerät aus der Tasche. „Mein Name ist Hendrik Verhoeven“, begann er, „und ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“
Fennrich reagierte nicht.
Das Hemd klebte an seinem Rücken wie ein nasses Handtuch, und ihm fiel ein, dass seine Pflegemutter immer behauptet hatte, ab einer bestimmten Temperatur sei es vollkommen gleichgültig, ob man im Anzug herumlief oder nackt war. „Sind Sie einverstanden, dass ich unser Gespräch aufzeichne?“
Doch wieder erhielt er keine Antwort .
Jasper Fennrich war recht groß, aber schmächtig und trug ein schmutziges graues Hemd zu seinen Bluejeans. Trotz der drückenden Hitze schien er nicht zu schwitzen. Im Gegenteil: Seine wettergegerbte Haut wirkte so trocken, als sei sie erst vor wenigen Minuten gründlich abgepudert worden. Ein Hauch grauer Bartstoppeln malte unregelmäßige Schatten auf das verlebte, jedoch nicht unattraktive Gesicht und verlieh ihm einen ungewaschenen, beinahe verwahrlosten Ausdruck. Unter den Augen lagen tiefe Ringe.
Er ist uralt, dachte Verhoeven. Uralt und krank. Zumindest sieht er so aus. Aber was hieß das schon? Lilli Dahl war noch nicht einmal fünfzig gewesen , und sie hatte ausgesehen wie achtzig. Oder? Er rief sich den Messingglanz ihres Haars in Erinnerung und die billige Bluse mit dem Blümchenmuster. Das blendende Weiß ihrer Haut, das darauf hindeutete, dass sie die Hütte am See nur selten verlassen hatte.
Eine alte Frau liegt tot in ihrem Bett.
Ein Routinefall …
Verhoeven seufzte und schaltete das Diktiergerät ein.
„Ich habe es getan“, sagte Fennrich, kaum, dass die Aufzeichnung begonnen hatte. Doch seine Miene war vollkommen ausdruckslos. Er klang, als spule man ein Tonband ab. Einen vor langer Zeit auswendig gelernten Satz.
„Sie haben was getan?“, fragte Verhoeven, eigentlich einzig und allein der Form halber. „Ihre Frau getötet?“
„Ja.“
„Warum?“
Die trüben Augen streiften sein Gesicht. Ganz kurz nur. Ein winziger Augenblick der Aufmerksamkeit. Des Sondierens. Dann sah Jasper Fennrich wieder weg. Ins Leere. „Was spielt denn das für eine Rolle?“
„Ich möchte es einfach wissen“, antwortete Verhoeven.
„Was?“
„Warum jemand dreißig Jahre seines Lebens mit einem Menschen verbringt und ihn dann tötet.“
Jetzt lachte er. Heiser wie jemand, der sein Leben lang stark geraucht hatte.
Verhoeven überlegte, ob er in der Hütte Zigaretten gesehen hatte. Oder eine Pfeife. Aber ihm fiel nichts ein. Keine Rauchutensil ien. Kein Alkohol. Nicht einmal ein paar Süßigkeiten.
Das Lachen seines Gegenübers war unterdessen in ein halbherziges Husten übergegangen, das den Eindruck machte, als diene es einzig und allein dem Zweck, Zeit zu gewinnen.
„Glauben Sie mir“, wiederholte er schließlich. „Es spielt keine Rolle, warum ich es getan habe.“
„Da irren Sie sich“, widersprach Verhoeven. „Spätestens vor Gericht wird es eine entscheidende Rolle spielen.“
Fennrich starrte auf den Boden vor seinen Füßen. Billiges PVC aus den Siebzigern, in dessen Oberfläche ein paar unübersehbare Dellen von den mannigfachen Belastungen zeugten, denen es seither ausgesetzt gewesen war.
„Beschreiben Sie mir den gestrigen Nachmittag und Abend “, bat Verhoeven. „Waren Sie den ganzen Tag über zu Hause?“
Schweigen.
Seine Augen suchten die Zelle nach einem Glas Wasser ab. Es war glühend heiß in diesem Raum, und Jasper Fennrich war alt. Überdies war er nun schon seit mehr als achtundvierzig Stunden auf den Beinen. Er musste brennenden Durst haben. „Möchten Sie einen Schluck Wasser?“
Fennrich sah ihn an, sagte jedoch nichts.
„Oder vielleicht einen Kaffee?“
„Nein.“
„Etwas zu essen?“
Die Züge des
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