Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Aversion gegen diesen armen Jungen nimmt ja mittlerweile geradezu freudsche Ausmaße an! Aber soll ich dir was sagen?“ Sie kicherte, als ihr Mann die rhetorische Frage einfach ignorierte. „Es nützt dir nichts. Denn was immer du von Dominik auch halten oder nicht halten magst, deine Tochter findet ihn toll.“
„Weil sie noch in einem Alter ist, in dem sie Altklugheit für smart hält“, versetzte Verhoeven. „Aber ich bin mehr als zuversichtlich, dass sich das mit der Zeit auswächst.“
Silvie schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln. „ Natürlich. Und vielleicht können wir dann ja auch endlich anfangen? Es wäre nämlich wirklich toll, wenn die Kuchen noch ein wenig auskühlen könnten, bevor wir sie den Kindern vorsetzen.“
Verhoeven griff nach der Schürze, die sie ihm hinhielt. „In Gottes Namen“, stöhnte er. „Aber ich für mein Teil halte mich ausschließlich an Marmorkuchen und Muffins.“
„So?“
„Ja, dieses Dinkel-Möhren-Ahorn-Ding für Mr. Zuckerhasser-Semper wirst du schon selbst herstellen müssen, wenn es denn unbedingt sein muss.“
„Und so was ist bei der Polizei“, kicherte Silvie und duckte sich vor dem Topflappen, den er nach ihr warf.
11
Winnie hatte den Boden gewischt, die Pfandflaschen in ihren Einkaufskorb und das restliche Glas in eine Plastiktüte gestopft und sämtliche Briefe durchgesehen, die in den letzten Wochen gekommen waren. Sie hatte Rechnungen abgeheftet, Abbuchungen kontrolliert und eine Liste aller Dinge gemacht, die sich nicht von selber regelten und mit denen sie sich in den nächsten Tagen und Wochen erneut würde beschäftigen müssen. Anschließend war sie in den Keller gegangen, hatte einen Korb Wäsche aufgesetzt und das Geschenk eingepackt, das sie für Nina Verhoeven besorgt hatte. Und jetzt war ihr Kleiderschrank an der Reihe, der ebenfalls dringend einer Revision bedurfte!
„Jetzt seht euch das doch nur mal an, Jungs!“, rief sie, indem sie mit spitzen Fingern ein T-Shirt in die Höhe hielt. „Dieses Ding ist wirklich und wahrhaftig Vanillegelb! Ist das nicht entsetzlich? … Was? … Na, weil es billig gewesen ist, warum denn sonst? … Ihr wisst schon, eins von diesen Schlussverkaufsschnäppchen, die man schon bereut, wenn einem die Kassiererin die Tüte über den Tresen reicht und … Wie? … Ja, sicher weiß ich, dass mich Vanillegelb blass macht, vielen Dank für den Hinweis! Aber ich hab das verdammte Ding im Sommer gekauft und…“ Sie wollte gerade einen Stapel Pullover aus dem hinteren Teil des Faches zerren, als etwas vor ihr auf den Boden fiel und zersprang.
Etwas, das sich wie Plastik anhörte.
Sie stöhnte und ging in die Knie, um den Boden unter der Arbeitstheke nach den Einzelteilen abzusuchen. Und als ihre Finger gegen einen eckigen Gegenstand stießen, wusste sie auch, dass es sich um die Überreste einer Audiokassette handelte.
Ihr Herz schlug schneller.
Das ist Ellis Kassette! Das Band, das deine Schwester dir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hat!
Elli hatte es heimlich aufgenommen und es enthielt ein paar ihrer ausgemachten Lieblingsstücken. Alle Stücke, die Elli ihrer eigenen, überaus kritischen Meinung nach zum damaligen Zeitpunkt gut genug beherrscht hatte, um sie auf Tonband aufzunehmen.
Winnie starrte das staubige Plastik an, während vor ihrem inneren Auge das Bild eines hübsch verpacken Päckchens aufblitzte. Sie sah das hellgrün und weiß gemusterte Geschenkpapier. Immer zwei dünne Streifen neben einem etwas dickeren. Und Ellis erwartungsvollen Blick. Sie war zwölf gewesen, damals. Ein dünnes, zartgliedriges Mädchen, neben dem Winnie sich stets unförmig und derb vorgekommen war. Ja, dachte sie, Elli hat immer ausgesehen, als habe sie nicht genug Lebenskraft. Und doch hatte ihr Körper letztendlich eine ungeheure Zähigkeit bewiesen.
Sieben Jahre im Wachkoma.
Sieben Jahre ohne Bewegung, feste Nahrung, frische Luft und Spaziergänge.
Und ohne Klavier …
Dabei war die Musik von Beginn an das Wichtigste in Ellis Leben gewesen. Schon mit knapp vier Jahren war sie auf den Klavierhocker geklettert, an dem ihre ältere Schwester pflichtschuldig mit Czerny oder Bartok rang.
„ Schau dir das Kind an!“, hatte Franz Heller geflüstert, als seine jüngere Tochter nacheinander verschiedene Töne angeschlagen und ihnen anschließend andachtsvoll nachgelauscht hatte. „Sieht fast so aus, als sei sie begabt dafür, oder?
Mit einem dicken Kloß im Hals tastete Winnie
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