Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
die Hülle, die unsere Welt umgibt, im Laufe der Zeit immer dünner geworden.“ Na, super! „Aber, weißt du … Die Sonne strahlt noch genauso hell wie früher, nur dass die Strahlen die dünne Hülle jetzt viel besser durchdringen können. Und deshalb sind sie intensiver und …“ Er hatte das unbequeme Gefühl, sich um Kopf und Kragen zu reden. „Und wenn wir zu viele von diesen Strahlen abbekommen, werden wir krank.“
„Was für eine Krankheit ist denn das?“, wollte seine Tochter mit den großen grünen Augen wissen.
Er griff nach der Tasche, die Silvie ihnen zurechtgemacht hatte.
„Papa?“
„Was denn?“
„Was für eine Krankheit kriegt man, wenn man zu viel Sonne abbekommt?“
Er musste gegen seinen Willen lachen. Diese Hartnäckigkeit gehörte zweifellos zu den unangenehmen Erblasten, die er seiner eigenen Familie zuzuschreiben hatte.
„Muss man dann sterben?“
„Nein, natürlich nicht.“ Was vielleicht eine Untertreibung war, aber für ein Gespräch über maligne Melanome war es definitiv ein paar Jahre zu früh. „Man wird nur … Man wird einfach krank, okay?“
Die Miene seiner Tochter verriet , dass sie mit der Erklärung, die er ihr angeboten hatte, keineswegs zufrieden war. Aber sie stellte auch keine weiteren Fragen mehr, sondern setzte klaglos ihren „doofen Hut“ wieder auf.
Na toll, Hendrik! Jetzt hast du sie total verängstigt!
„Hör mal …“, setzte er an, doch Nina unterbrach ihn gleich wieder.
„Bekomme ich einen Hund?“
In manchen Dingen war sie eben doch erst fünf – Gottlob! „Wann?“
„Heute.“
„Weshalb solltest du einen Hund bekommen?“
„Weil ich Geburtstag habe.“
„Du hast Geburtstag?“ Er hob sie hoch und warf sie zum Scherz in die Luft. „Wann?“
„Jetzt!“, rief sie und lachte . Laut und angstfrei. Ganz wie es sich für ein Kind ihres Alters gehörte.
Dann machte sie sich kichernd los und stürmte an ihm vorbei zum Auto.
2
„Sie ist wieder aufgetaucht.“
„Wer?“
„Corinna Schilling.“ Winnie Heller streckte die Beine von sich. „Das Mädchen, das verschwunden war.“
Verhoeven ließ sich auf einen Stuhl in dem staubigen Nebenraum fallen, der ihnen von der örtlichen Polizei für die Dauer ihrer Ermittlungen überlassen worden war. Der zähe Berufsverkehr und ein garantiert gut gemeintes, aber erschreckend langatmiges Geburtstagslied mit den Betreuerinnen von Ninas Kindergartengruppe hatten ihn eine weitere Dreiviertelstunde gekostet. Und nun begann er den Tag mit dem Rücken zur Wand. „Tatsächlich?“
„Ja. Irre, was?“
Sie schob ihm einen Becher Kaffee hin, den er eigentlich nicht trinken wollte. Aber er wollte sie auch nicht enttäuschen. Es kam nicht oft vor, dass sie sich fürsorglich zeigte, und Verhoeven ertappte sich bei der Überlegung, ob es wohl einen Hintergedanken zu ihrem Kaffee gab. Ob sie etwas gutmachen wollte. Oder ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie wieder einmal versucht hatte, ihn rechts zu überholen. Wie so viele Male zuvor.
„Sie saß auf der Schaukel in der Tagesstätte. Die Erzieherinnen haben sie gefunden, als sie heute früh kamen.“
„Was soll das heißen, sie saß auf der Schaukel?“ Er lockerte den Kragen seines Hemdes und merkte, dass er bereits wieder aus allen Poren schwitzte.
„Schaukelte.“
„Und wo war sie in der Zwischenzeit?“
Seine Kollegin zuckte die Achseln. „Zumindest nicht bei ihrem Vater. Der ist seit letzter Woche in Südamerika und weiß von gar nichts.“
Verhoeven runzelte die Stirn.
„Die Betreuerinnen haben die Kollegen von der Vermisstenabteilung angerufen“, setzte Winnie Heller ihren Bericht fort. „Und auch Corinnas Mutter.“
Er verzog das Gesicht.
„Leider war die Mutter schneller. Sie ist auf ihre Tochter los und hat geschrieen und geheult, Sie wissen schon ...“ Sie verdrehte die Augen. „Seither starrt die Kleine angeblich nur noch Löcher in die Luft.“
„Liegen schon irgendwelche Untersuchungsergebnisse vor?“
Sie seufzte. „Die Mutter weigert sich kategorisch, einen Arzt an das Mädchen heran zu lassen. Sie besteht darauf, dass ja schließlich und endlich gar nichts passiert sei. Das Kind ist wieder da, es sieht gesund aus, also ab unter den Teppich mit der ganzen Sache. Aber wenn Sie mich fragen …“ Sie machte eine bedeutungsvolle Miene. „Sie will es gar nicht wissen.“
Verhoeven dachte an Nina. Würde ich es wissen wollen?, überlegte er und kam zu dem Schluss, dass er nicht
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