Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
„Weil es total doof aussieht.“
„Es sieht hinreißend aus“, widersprach Verhoeven, indem er seine Tochter wieder auf dem Boden absetzte und einen flüchtigen Blick auf die Uhr warf. Wenn er nicht sofort losfuhr, würde Winnie Heller den Fall im Alleingang gelöst haben, so viel stand fest.
Sie war jung. Sie war ehrgeizig. Und was das Wichtigste war: Sie war ungebunden.
„ Du musst Prioritäten setzen“, hörte er die vertraute Stimme seiner Frau. „Und ein intaktes Familienleben erfordert nun einmal ein Mindestmaß an Beziehungsarbeit.“
Ja, ja, dachte er. Leichter gesagt als getan.
Sein Blick blieb an ihrem Parfüm hängen, das auf der Ablage über dem Waschtisch stand. Trotz ihres nächtlichen Backmarathons waren sie eine Stunde früher aufgestanden, hatten die Küche mit Girlanden und Luftballons dekoriert und fünf Kerzen auf dem Frühstückstisch entzündet. Anschließend hatten sie ihre Tochter geweckt.
Nina wusste bereits, dass sie ihr „Hauptgeschenk“ erst am Nachmittag erhalten würde, wenn ihre Großeltern kamen. Und sie hatte begeistert ein paar neue Bilderbücher, Rollschuhe und Süßigkeiten ausgepackt, während Verhoeven eine Reihe von übervollen Kuchenplatten und Tupper-Schüsseln ins Auto verfrachtete. Silvie hatte ihm einen Kuss auf die Lippen gedrückt, ihre Tochter umarmt und das Haus verlassen, und nun überlegte er ernsthaft, ob seine Frau so früh am Morgen tatsächlich einen Termin hatte oder ob sie ihm einfach nur eine Lektion in erteilen wollte.
War das hier die Strafe dafür, dass er beim nächtlichen Backen versagte?
Dass er in letzter Zeit zu oft zu spät kam, um mit Frau und Tochter zu Abend zu essen?
„Papa?“
Er fuhr erschrocken zusammen. „Ja?“
„Dieser Hut ist doof …“
Silvie hatte das khakifarbene Baumwollhütchen in der Jungenabteilung entdeckt, nachdem ihre Tochter sich jeder Art von Volants und Schleifchen ebenso verweigert hatte wie den Farben Rosa, Hellgelb und Babyblau. Und Verhoeven freute sich schon jetzt auf den Moment, in dem Nina den pinkfarbenen Traum seiner Schwägerin zu Gesicht bekommen würde, der noch immer gut versteckt auf dem Dachboden stand. Vermutlich bekam sie schon beim bloßen Anblick des Geschenks die Krätze!
Das könnte ich allerdings noch toppen, falls ich nicht mit einem passenden Hund nach Hause komme, setzte er unbehaglich hinzu.
„Der Hut ist nicht doof. Und jetzt komm!“, versuchte er es erneut. „Wir sind schon jetzt viel zu spät.“
Sie sah ihn an und nahm den Hut ab. „Ich sehe aus wie … ein verpisster Idiot.“
„Woher kennst du solche Wörter?“
„Keine Ahnung.“
Und achte unbedingt darauf, dass sie ihren Hut aufsetzt , mahnte eine imaginäre Silvie in seinem Kopf. Ohne Hut und Sonnencreme macht sie mir bei diesem Wetter keinen Schritt vor die Tür!
Er seufzte. Das hier war doch als Strafe gedacht, kein Zweifel!
„Der Hut ist nicht doof, sondern chic“, sagte er mit dem charmantesten Lächeln, das er zustande brachte. „Und außerdem muss man heutzutage etwas auf dem Kopf haben, wenn man längere Zeit draußen ist.“
„Warum?“
Verhoeven raffte ein paar verstreute Kleidungsstücke zusammen und warf sie in den Korb für die schmutzige Wäsche. „Weil die Sonne immer gefährlicher wird.“
„Die Sonne ist gefährlich?“
„Na ja, was heißt gefährlich …“ Keine gute Idee, einer Fünfjährigen zu erklären, etwas sozusagen Unausweichliches sei eine Gefahr! „Das ist vielleicht …“
Seine Tochter blickte ihn aus ihren großen grünen Augen an. Er hatte sich schon oft gefragt, wo sie ihre Farbe herhatten, denn Silvie und er hatten beide blaue Augen, und auch seine hochheiligen Schwiegereltern brachten es eher auf Stahlgrau und Braun.
Ninas Augen hingegen waren von einem eigentümlichen kühlen Grün, eine kräftige Farbe, fast wie der See hinter dem Weiherhaus. „Warum ist die Sonne gefährlich , Papa?“, insistierte sie.
Tja, warum? Verhoeven biss sich auf die Lippen und dachte daran, wie viel einfacher der Umgang mit seiner Tochter in der Zeit kurz nach der Geburt gewesen war. Damals hatte er sie oft nachts aus ihrem Bettchen genommen, sie im Haus herumgetragen und ihr Geschichten erzählt – eine Prozedur, die Nina stets mit wohlwollender Geduld und wachen Babyaugen über sich ergehen lassen hatte.
„Weißt du, wir Menschen sind ziemlich schlecht mit der Erde umgesprungen“, begann er vorsichtig, als er sah, dass sie nicht lockerlassen würde, „und deshalb ist
Weitere Kostenlose Bücher