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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Welt,
    Lilli
     
     
    Winnie betrachtete die verschnörkelte Unterschrif t. Was für eine merkwürdige Frau diese Lilli Dahl doch gewesen ist, dachte sie. Schreibt Briefe an eine Welt, die sie vergessen hat, und verheddert sich andauernd in ihren eigenen Erinnerungen. Aber das war wahrscheinlich ganz natürlich, wenn man so lange ein derart abgeschiedenes Dasein geführt hatte. Ohne Besuch. Ohne eine vernünftige Unterhaltung.
    Fennrich zumindest schien ja wirklich mehr als einsilbig zu sein. Und Verhoeven hatte sich ganz offenbar die Zähne an ihm ausgebissen. Zumindest hatte das, was er vorhin am Telefon über seine zweite Unterredung mit Lillis Ehemann berichtet hatte, ganz und gar danach geklungen.
    Ihre Augen überflogen den nächsten Eintrag, der nahezu übergangslos unter den vorigen gesetzt war:
     
     
    16. Juli 2007
    Liebe Welt da draußen,
     
    das ist heute so etwas wie eine geschenkte Stunde, denn wir haben weder Dienstag noch Donnerstag, aber Jasper ist trotzdem aus dem Haus! Zieht heute Mittag auf einmal sein altes schwarzes Jackett an, staubig wie es ist, und behauptet, zu einer Beerdigung zu müssen. Und das bei dieser Affenhitze!
     
     
    Winnie schmunzelte. Zugleich hielt sie in Gedanken fest, dass Lilli Dahl theoretisch noch viel mehr geschrieben haben konnte, als sie bislang angenommen hatten. Fennrich ist regelmäßig dienstags und donnerstags außer Haus gewesen, resümierte sie. Und wenn man bedenkt, wie versessen Lilli auf’s Schreiben war, ist es doch nur wahrscheinlich, dass sie auch tatsächlich jede freie Minute dazu genutzt hat. Was bedeuten würde …
    Sie stand auf und riss den Unicef-Kalender von der Wand, den sie sich alljährlich kurz vor Weihnachten bestellte, um ihr Gewissen zu erleichtern. Der erste Brief war auf den dritten Juli datiert, einen Dienstag. Darüber hinaus besaßen sie inzwischen Aufzeichnungen vom zehnten, zwölften, sechzehnten und vierundzwanzigsten Juli. Ihr Zeigefinger fuhr über den Kalender. Das machte also insgesamt drei Dienstage, einen Donnerstag und den geschenkten Montag, den sie gerade vor sich hatte.
    „Fehlen zwei Donnerstage und ein Dienstag“, murmelte sie laut vor sich hin, während sie überlegte, ob Lilli Dahl noch mehr Verstecke gehabt haben konnte. Dabei fiel ihr Blick wieder auf den missglückten Schmetterling, der zusammen mit den Papierschnipseln in dem Kuvert gesteckt hatte.
    Warum hat sie so etwas aufgehoben?, überlegte sie. Und warum sind die beiden Briefe, die sie zusammen mit dem Schmetterling versteckt hat, zerrissen?
    Sie schüttelte ratlos den Kopf und betrachtete wieder das Schriftbild vor sich, das immer wirrer und uneinheitlicher wurde. War Lilli Dahl einfach ungeübt gewesen? In Eile? Gestört worden?
    „ Ich muss das unbedingt einem Experten zeigen“, beschloss sie halblaut. „Jemandem, der wirklich etwas damit anzufangen weiß …“ 
     
     
    Natürlich hat Jasper mir nicht verraten, wer gestorben ist. Nicht einmal, wie lange er fort sein wird. Aber das macht er ja immer so. Er lässt mich bewusst im Ungewissen, damit ich mich auch ja nicht zu sicher fühle. Wegfahren, unerwartet zurückkehren, wieder wegfahren – es ist der reinste Psychoterror!
    Zum Glück habe ich gute Ohren. Ich höre sein Motorrad schon, wenn er noch oben im Wald ist, und wenn er mich überraschen will, muss er schon früher aufstehen. Allerdings hat ein so gutes Gehör auch eine ganze Menge Nachteile. Ich bin als Kind andauernd zusammengezuckt, wenn draußen ein Lkw vorbeifuhr. Und ich konnte es auch gar nicht leiden, wenn in der Schule alle durcheinander sprachen und kreischten und so was alles. Aber wenn es zu schlimm wurde, passierte etwas sehr Seltsames mit mir: Dann war ich auf einen Schlag ganz ruhig, und alle Geräusche um mich herum wurden immer leiser, wie wenn man bei einem Radio an diesem Knopf dreht, der die Lautstärke regelt. Zugleich konnte ich auf einmal nur noch geradeaus gucken, und am Ende vergaß ich einfach, wo ich war.
    Aber ich wüsste ja schon gerne, wer heute beerdigt wird. Das letzte Begräbnis, auf dem ich gewesen bin, war das von meiner Schwester, doch das war keine große Sache. Im engsten Familienkreis, wie es so schön heißt. Das hielten meine Eltern unter den gegebenen Umständen wohl für das Beste. Da fällt mir ein: Habe ich überhaupt schon von Lorna erzählt? Sie war verrückt, das arme Ding, und sie steckten sie in eine Anstalt …
     
     
    Moment! Augenblick! Was sollte denn das jetzt wieder?
    Winnie

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