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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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beileibe nicht die Einzige, die das fand! Damals durfte ich übrigens ausnahmsweise auch mal ein Kleid tragen …
     
     
    Und da war sie also wieder, diese vermaledeite Rock-Geschichte! Winnie hieb triumphierend auf die Tischkante ein. Mysteriöse Verletzungen, resümierte sie. Verletzungen und Röcke, die nicht getragen werden durften. Kleider und Frakturen. Unfälle und Pech. Zwei linke Hände und eine Gartenschere …
    Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nach eigenen Aussagen war auch Yvonne Paland als Kind oft verletzt gewesen, aber im Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester hatte ihre Mutter ihr erlaubt, Röcke und Kleider zu tragen. Warum? Winnie schüttelte nachdenklich den Kopf. Weshalb verbot man dem einen Kind etwas, das man einem anderen bereitwillig gestattete? Warum hatte Lilli wie ein Junge herumlaufen müssen, während ihre Schwester in puppige Phantasiedirndl gekleidet worden war?
    Zustände wie bei Aschenputtel, dachte sie. Die verwöhnte Tochter auf der einen und das vernachlässigte Kind auf der anderen Seite.
    Ein Kind, um das sich keiner scherte.
    Eines, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund durch das familiäre Raster gerutscht war.
    Ein Außenseiter …
    „Tja, Lilli, ich wette, deine jüngere Schwester durfte auch anziehen, worauf sie Lust hatte“, murmelte sie vor sich hin, als ihr Blick an einer Zeile etwas weiter oben hängenblieb.
    Oh ja, so war er, mein Vater. Kümmerte sich um gar nichts, außer um Lorna.
    War Lorna der Liebling des Vaters gewesen und Yvonne der Stolz der Mutter? Während Lilli die Rolle des schwarzen Schafes übernahm? Die mittlere von drei Töchtern. Das Sandwich-Kind, das seinen Eltern nichts recht machen konnte und das zur Strafe in Sack und Asche gehen musste? War es so gewesen? So einfach?
    „Aber warum sind denn dann alle Dahl-Kinder so oft verletzt gewesen?“, widersprach Winnie sich selbst, indem sie aufstand und sich ein Glas Leitungswasser holte. „Diese Mädchen sind misshandelt worden. Sie müssen misshandelt worden sein. Das ist die einzig plausible Erklärung.“
    Warum verbot eine Mutter ihrer Tochter, Röcke zu tragen? Die Frage schwang hinter ihrer Stirn wie ein dunkler Akkord. Sah das Ganze denn nicht viel zu sehr nach einer Schutzmaßnahme gegen sexuellen Missbrauch aus, als dass es einfach ignoriert werden konnte? Aber warum, in aller Welt, sollte nur eine von drei Töchtern in Gefahr gewesen sein, von ihrem Vater oder wem auch immer sexuell missbraucht zu werden?
    Frustriert schleuderte Winnie die Pinzette, die sie zum Zusammensetzen der Briefe benutzt hatte, quer über den Tisch. Für einen kurzen Augenblick blitzte Helmut Dahls Gesicht vor ihr auf.
    Ich weiß genau, worauf Sie hinaus wollen, aber da sind Sie auf dem Holzweg.
    Und wenn es doch zwei verschiedene Dinge wären, auf die wir hier gestoßen sind?, überlegte sie, indem sie sich die vor Hitze und Anstrengung juckenden Augenwinkel rieb. Vielleicht haben wir es mit zwei unterschiedlichen Personen zu tun, einem Missbraucher auf der einen und einem Vater, der seine Kinder schlägt, auf der anderen Seite. Aber selbst wenn … Spielte das eine Rolle für diesen Fall, für Lillis Tod? Würde es irgendetwas erklären?
    Verwirrt las sie weiter:
     
     
    Damals durfte ich übrigens ausnahmsweise auch mal ein Kleid tragen. Aber es wäre ja auch zu komisch gewesen, wenn ich meine erste heilige Kommunion in Hosen empfangen hätte, das sah sogar meine Mutter ein. Und also bekam ich ein Kleid. Es war nicht so schön wie das von Rosemarie, aber immerhin war es weiß und glänzte, und ich fühlte mich beinahe wie ein Mädchen darin.
    Das ist übrigens das einzige Foto, das ich mitgenommen habe, als ich von zu Hause wegging. Das Foto, auf dem ich vor der Kirche stehe, genau am selben Platz wie zuvor Rosemarie. Ich fand immer, dass ein bisschen was von ihrem Glanz noch da war und auf mich abfärbte. Und das war auch bitter nötig, denn Weiß ist eigentlich gar keine Farbe für mich mit all diesen Sommersprossen.
    Mein Großvater meinte immer, dass ich hübsch aussähe, und vielleicht tat ich das wirklich, wenn schon nicht an diesem Tag, so doch zumindest später, als ich herausgefunden hatte, wie man sich ein bisschen zurechtmacht. Man würde es nicht glauben, aber ich war tatsächlich mal ein ziemlich attraktives junges Mädchen. Nicht so wie jetzt, alles grau in grau und kaum noch Fleisch auf den Rippen … Aber jetzt muss ich Schluss machen, höchste Zeit!
     
    Bis später,

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