Die Jahre mit Laura Diaz
unmenschlich reich«, erzählte Danton lachend seinen Eltern und seinem Bruder. »Ihr ganzes Leben haben sie massenhaft Geld gemacht, für einen Tag, der nie kommen wird. Sie haben die Gründe für ihren Reichtum aus den Augen verloren. Ich will ihnen neuen Schwung geben. Jetzt bestimme ich die Gründe. Mama, Papa, die Hochzeit ist im nächsten Monat, sobald ich als Anwalt zugelassen werde. Ich bin erfolgreich, warum gratuliert ihr mir nicht?«
»Mein Bruder bringt mich ganz durcheinander«, sagte Santiago zu Laura, »er gibt mir das Gefühl, unterlegen, dumm zu sein, er hat auf alles im voraus eine Antwort, mir fallen die Antworten immer erst ein, wenn alles schon vorüber ist. Warum bin ich nur so?«
Sie antwortete, er und sein Bruder seien eben sehr unterschiedlich: »Danton ist für die äußere Welt geschaffen und du für die innere, in der die Antworten nicht schnell oder witzig sein müssen, Santiago, weil das, was zählt, die Fragen sind.«
»Nein, manchmal gibt es überhaupt keine Antwort«, erklärte der lächelnd im Bett liegende Santiago. »Es gibt nur Fragen. Du hast recht.«
»Ja, Sohn. Ich glaube an dich.«
Er stand mühsam vom Bett auf und ging zur Staffelei. Das Zittern des Fiebers, das ihn seit einiger Zeit auf unerklärliche Weise ergriffen hatte, und das der schöpferischen Vorahnungen ließen sich schwer auseinanderhalten. Als er vor der Leinwand saß, übertrug er dieses Fieber, diesen Zweifel. Laura betrachtete ihn und spürte ihn so, als steckte er in ihrer Haut: So ist er immer gewesen, seit er seine Berufung zum Maler entdeckt hat, alle Tage staunt er über sich selbst, fühlt sich wie verwandelt, entdeckt den anderen, der sich in seinem Inneren befindet.
»Auch ich entdecke ihn, Juan Francisco, aber ich sage es ihm nicht. Kümmere dich ein bißchen um ihn.«
Juan Francisco schüttelte den Kopf. Er wollte es nicht zugeben, aber Santiago lebte in einer Welt, die er nicht verstand, er wußte nicht, was er seinem Sohn sagen sollte, die beiden hatten einander nie nahegestanden. Wäre es nicht eine Täuschung, wenn er sich ihm jetzt näherte, weil er krank war?
»Es ist mehr als das, Juan Francisco. Santiago ist nicht nur krank.«
Juan Francisco begriff nichts von der Nähe dieser beiden Dinge: Künstler zu sein und zugleich krank. Das war so, als stellte man sich einen Spiegel vor, der zwei Bilder reflektiert und doch nur einer war, und jedes Bild gab eine andere Wirklichkeit wieder, Krankheit und Kunst, die nicht notwendig ein Zwillingspaar, wohl aber manchmal verschwistert waren. Was lag den leidvollen Tagen Santiagos zugrunde und was nährte sie, die Kunst oder die Krankheit?
Laura betrachtete ihren schlafenden Sohn. Sie saß gern an seinem Bett, wenn er aufwachte. Das sah sie: Er wachte überrascht auf, doch man konnte nicht wissen, ob es die Überraschung war, daß er den Morgen erlebte, oder das Staunen, daß er noch einen Tag zum Malen hatte.
Sie fühlte sich von dieser täglichen Wahl ausgeschlossen und bekannte, daß sie gern Teil dessen gewesen wäre, was sich Santiago jeden Tag aussuchte: Laura, meine Mutter Laura Dïaz ist Teil meines Tages. Sie verbrachte den Tag zusammen mit ihm, an seiner Seite, sie hatte alles aufgegeben, um den Jungen zu pflegen, doch Santiago äußerte keine Dankbarkeit für diese Gesellschaft, er ließ sie lediglich zu, sagte sich Laura.
Vielleicht hat er für nichts zu danken, und ich muß es verstehen und respektieren.
An einem Nachmittag fühlte er sich kräftiger und bat seine Mutter, ihn ins Wohnzimmer zu bringen, auf den Balkon der abendlichen Zusammenkünfte. Er hatte so sehr abgenommen, daß ihn Laura hätte tragen können, etwas, das ihr entgangen war, als er ein kleines Kind war und fern von ihr bei ihrer Mutter und den Tanten in Xalapa aufwuchs. Nun hätte sich die Mutter vorwerfen können, daß sie ihn damals mit unlauteren Begründungen im Stich gelassen hatte. Laura wollte ein unabhängiges Leben führen, die Kinder und sogar der Mann waren ihr zuviel, sie war ein Mädchen aus der Provinz, das mit zweiundzwanzig Jahren einen sechzehn Jahre älteren Mann geheiratet hatte, nun war sie an der Reihe, zu leben, etwas zu wagen und zu lernen. War die Nonne Gloria Soriano nur ein Vorwand gewesen, um die Familie zu verlassen? Wäre die Zeit mit Orlando Ximénez und Carmen Cortina, mit Diego und Frida in Detroit nicht eigentlich die Zeit für ein hoffnungsvolles Kind gewesen, das sie auf den Arm nehmen konnte, diesen Santiago mit seiner so
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