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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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schweigend vorbeiziehen, wenn sie kamen und gingen. Wer eine Mütze trug, nahm sie ab, sobald er sie erblickte, setzte sie aber anschließend sofort wieder auf. Wer einen Hut hatte, legte ihn am Eingang ab. Manche wußten nicht, was sie mit ihren Händen machen sollten, wenn sie Laura sahen. Im Eßzimmer äußerten sie sich dagegen wortreich, und Laura, die für sie unsichtbar war, aber aufmerksam allem zuhörte, was sie sagten, glaubte, Stimmen zu vernehmen, die sich lange Zeit im Untergrund verborgen hatten und eine Redekunst beherrschten, die ganze Jahrhunderte lang stumm geblieben war. Sie hatten gegen die Diktatur Don Porfirios gekämpft, so ließ sich zusammenfassen, was Laura verstand, die ältesten hatten sich in der anarchosyndikalistischen Gruppe »Luz« betätigt, danach im Haus des Weltarbeiters, das der anarchistische Lehrer Moncaleano begründet hatte, und schließlich in der Mexikanischen Arbeiterpartei, als Carranza das Haus des Weltarbeiters auflöste, nachdem die Revolution gesiegt und der undankbare Alte alles vergessen hatte, was er seinen Roten Bataillonen und dem Haus des Weltarbeiters verdankte. Aber Obregõn (ließ er Carranza umbringen?) bot den Werktätigen eine neue Partei, die Arbeiterpartei, und eine neue Dachorganisation, die CROM, damit sie ihren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen konnten.
    »Will man uns wieder ein X für ein U vormachen? Seid euch im klaren, Kollegen, die Regierungen, ausnahmslos alle, haben uns nur immer betrogen. Madero, der angebliche Apostel der Revolution, hat uns seine Kosaken auf den Hals gehetzt.«
    »Was hast du erwartet, Dionisio? Der kleine Mann war kein Revolutionär, bloß ein Demokrat. Trotzdem haben wir ihm etwas Wichtiges zu verdanken, paß auf. Madero glaubte, in Mexiko könnte es eine Demokratie ohne Revolution geben, ohne wirkliche Veränderungen. Seine Treuherzigkeit hat ihn das Leben gekostet. Die Militärs haben ihn umgelegt, die Großgrundbesitzer, all die Leute, die er nicht anzurühren wagte, weil er meinte, daß es ausreichte, demokratische Gesetze zu haben. So war’s.«
    »Aber Huerta, der Mörder von Madero, hat uns wirklich ernst genommen. Hast du jemals eine größere Kundgebung gesehen als die zum Ersten Mai 1913? Der Achtstundentag, die Sechstagewoche, mit alldem war General Huerta einverstanden.«
    »Die reinste Augenwischerei. Kaum hatten wir angefangen, über Demokratie zu reden, ließ Huerta schon unsere Zentrale in Brand stecken, er hat uns verhaftet und deportiert, vergiß das nicht. Das muß uns eine Lehre sein. Eine Diktatur kann uns Arbeitsgarantien geben, aber keine politische Freiheit. Wie hätten wir General Obregõn nicht als einen Retter begrüßen sollen, als er 1915 in Mexico-Stadt einmarschiert ist und auf einmal von der proletarischen Revolution gesprochen hat, daß man die Kapitalisten an die Kandare nehmen müsse, daß man…«
    »Du warst dabei, Palomo, du erinnerst dich daran, wie Obregõn auf unserer Versammlung aufgetaucht ist und uns einen nach dem anderen umarmt hat, als er noch zwei Arme hatte, und jedem einzelnen von uns hat er gesagt: Du hast recht, Kumpel. Er hat uns gesagt, was wir hören wollten.«
    »Die reinste Augenwischerei, José Miguel. Was Obregõn wollte, war, uns als Bundesgenossen gegen die Bauern zu benutzen, gegen Villa und Zapata. Und das hat er geschafft, er hat uns überzeugt, daß die Bauern reaktionär und klerikal wären, sie trugen das Bild der Heiligen Jungfrau am Sombrero, was weiß ich, sie waren die Vergangenheit…«
    »Die reinste Augenwischerei, Panfilo. Carranza war ein Grundbesitzer, der die Bauern haßte. Zapata und Villa hatten ganz recht, als sie damit anfingen, Land zu verteilen, ohne den alten Ziegenbart um Erlaubnis zu fragen.«
    »Aber jetzt hat Obregõn gewonnen, und er hat uns immer verteidigt, selbst wenn es allein deshalb war, weil er Unterstützung gegen Zapata und Villa brauchte. Seid euch darüber im klaren, Genossen. Obregõn hat alle anderen besiegt.«
    »Er hat alle anderen umgebracht, meinst du.«
    »Kann schon sein. So ist die Politik.«
    »Muß sie so sein? Wir wollen sie ändern, Diomsio.«
    »Obregõn hat gewonnen, so ist das nun mal. Er hat gewonnen, und er bleibt im Sattel. Mexiko lebt im Frieden.«
    »Erzähl das mal den rebellischen Generälen. Alle wollen eine Beteiligung an der Regierung, die Macht ist noch nicht endgültig verteilt, Palomo, wir werden unser blaues Wunder erleben, mal sehen, was uns bevorsteht.«
    »Die reinste Augenwischerei, das

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