Die Jahre mit Laura Diaz
Zeichnungen aus und empfing Journalisten.
»Ich werde die neue Rasse des stählernen Zeitalters malen.«
»Ein Volk ohne Gedächtnis ist wie eine bereitwillige Sirene. Sie weiß nicht, wann, weil sie nichts hat, womit.«
»Ich werde einer entmenschlichten Industrie eine Aureole der Menschlichkeit geben.«
»Ich werde den Vereinigten Staaten der Amnesie beibringen, sich zu erinnern.«
»Christus hat die Händler aus dem Tempel vertrieben. Ich will den Händlern den Tempel geben, der ihnen fehlt. Mal sehen, ob sie sich diesmal ein bißchen besser benehmen.«
»Mister Rivera, Sie sind in der Hauptstadt des Automobilbaus. Stimmt es, daß Sie nicht fahren können?«
»Ja, aber ich kann Eier zerschlagen. Wenn Sie sehen könnten, wie gut mir meine Omeletts gelingen.«
Unaufhörlich redete er, spaßte er, gab Anweisungen, malte, während er redete, redete, während er malte, als brauchte eine Welt von Formen und Farben die äußerliche Verteidigung und Ablenkung durch Tumult, Bewegung und Worte, um langsam hinter seinen schläfrigen Glotzaugen zu entstehen. Und doch kam er erschöpft ins Hotel zurück.
»Ich verstehe die Gesichter der Gringos nicht. Ich erforsche sie. Ich will sie lieben. Ehrenwort. Ich betrachte sie mit Sympathie und flehe sie an: Bitte, sagt mir etwas. Das ist, als schaute man sich Weißbrote in einer Bäckerei an. Alle sind gleich. Sie haben keine Farbe. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Maschinen gelingen mir hervorragend, aber die Menschen sehen entsetzlich aus. Was mache ich nur?«
»Wie entstehen unsere Gesichter, wie bildet sich ein Körper?« sagte Frida zu Laura, als Diego sehr früh schon aufgebrochen war, um sich der zunehmenden Wärme des kontinentalen Sommers zu entziehen.
»Wie fern die Erde ist, wo…«, sang Frida leise. »Weißt du, warum es so heiß ist?«
»Wir sind ganz weit von beiden Ozeanen entfernt. Die Seebrisen kommen nicht bis hierher. Uns erfrischen nur die Winde vom Nordpol. Eine hübsche Erfrischung!«
»Woher weißt du das alles?«
»Mein Vater war Bankdirektor, aber er hat viel gelesen. Jeden Monat bekam er Zeitschriften. In Veracruz gingen wir an die Mole, um europäische Bücher und Illustrierte abzuholen.«
»Und weißt du auch, warum mir so heiß ist?«
»Weil du ein Kind bekommst.«
»Und woher weißt du das?«
Durch die Art, wie sie laufe, antwortete Laura.
»Aber ich hinke.«
»Ich sehe, daß deine Fußsohlen heute den Boden berühren. Vorher bist du unsicher auf den Zehenspitzen gegangen, als wolltest du gleich losfliegen. Jetzt sieht es so aus, als wolltest du bei jedem Schritt Wurzeln schlagen.«
Frida umarmte sie und dankte Laura dafür, daß sie mit ihr gekommen war. Laura hatte ihr vom ersten Augenblick an gefallen; sie sagte, als sie Laura gesehen und mit ihr gesprochen habe, sei ihr klargeworden, daß sich die junge Frau nutzlos oder wie nutzlos behandelt fühlte.
»Nie habe ich eine Frau durch meine Tür kommen sehen, die sich verzweifelter nach Arbeit sehnte. Allerdings glaube ich, daß nicht einmal du selbst das gewußt hast.«
»Nein, das wußte ich nicht, ich war ganz allein vom Zwang beherrscht, eine eigene Welt für mich zu erfinden, und ich nehme an, dazu gehört zuallererst, daß man eine Arbeit findet.«
»Oder ein Kind, denn das ist auch eine Schöpfung.« Frida blickte Laura forschend an.
»Ich habe zwei.«
»Wo sind sie?«
Warum hatte Laura Dïaz das Gefühl, daß ihre Gespräche mit Frida Kahlo, ganz vertrauliche Frauengespräche ohne Winkelzüge und Ausflüchte, ohne eine Spur Bosheit, dennoch wie ein Vorwurf wirkten, den Frida einer verantwortungslosen Mutterschaft machte, nicht weil sie, Laura, unkonventionell war, sondern weil sie sich nicht genug gegen die Männer – den Ehemann, den Liebhaber – auflehnte, die die Mutter von den Kindern entfernt hatten? Sie erklärte Laura ganz freimütig, sie sei Rivera untreu, weil Rivera ihr zuerst untreu gewesen sei, sie hätten nur eines vereinbart: Diego schlafe mit Frauen, und Frida auch, wenn sie nämlich mit Männern schliefe, reizte sie Diego zum äußersten, das gelte aber nicht für eine gleichartige, gemeinsame Vorliebe für das weibliche Geschlecht. Das sei nicht das Problem, bekannte ihr die Invalidin eines Nachts. Untreue habe mitunter nichts mit Sex zu tun. Es gehe darum, ein Vertrauensverhältnis zu einem anderen Menschen herzustellen, zu dessen Schutz durchaus auch Lügen notwendig sein könnten, Geheimnisse, und manchmal heiße das Geheimnis
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