Die Jangada
Weiler, welche längs des ganzen Stromes verstreut liegen, vollkommen übereinstimmen, wenn sich hier nicht noch ein Flaggenstock mit den brasilianischen Landesfarben über einem Schilderhaus – ohne Wachposten – erhoben hätte, und nicht vier kleine bronzene Mörser zur Beschießung jedes Fahrzeuges, welches ohne Erlaubniß vorübersegelte, vorhanden gewesen wären.
Das eigentliche Dorf liegt übrigens am jenseitigen Abhange des Plateaus. Ein kurzer Weg, im Grunde nur eine von Ficus und Miriten beschattete Schlucht, führt zu demselben in wenigen Minuten. Dort erheben sich auf einer geneigten Fläche von theilweise gerissener Schlammerde etwa ein Dutzend mit Palmenblättern bedeckter und rund um einen freien Platz angelegter Häuser.
Hier ist also nicht viel Merkwürdiges zu sehen; dagegen bietet die Umgebung von Tabatinga einen herrlichen Anblick, vorzüglich an der Mündung des Javary, welche sich hier so stark erweitert, daß sie den ganzen Archipel der Aramasa-Inseln umschließt. Da streben herrliche Bäume empor, unter ihnen zahlreiche Exemplare jener Palmenart, deren geschmeidige, zu Netzen und Angelschnüren verarbeitete Fasern einen nicht unwesentlichen Handelsartikel bilden. Mit einem Worte, man hat hier wohl eine der interessantesten Stellen des oberen Amazonenstromes vor sich.
Tabatinga scheint übrigens berufen, in kurzer Zeit zu einer wichtigen Station zu werden, und dürfte sich ohne Zweifel rasch entwickeln. Hier werden die brasilianischen Dampfer, welche den Strom hinauffahren, ebenso anhalten wie die peruanischen, welche auf demselben hinabfahren. Hier muß die Umladung der Güter und das Umsteigen der Passagiere stattfinden. Weiter bedürfte es für ein englisches oder amerikanisches Dorf nichts, um binnen wenig Jahren zum Centrum einer beträchtlichen Handelsbewegung aufzuwachsen.
Der Strom selbst ist in diesem Theile seines Laufes sehr schön. Natürlich ist die Wirkung der gewöhnlichen Gezeiten bis zu dem sechshundert Meilen vom Atlantischen Ocean gelegenen Tabatinga nicht mehr bemerkbar. Anders verhält es sich mit der sogenannten »Pororoca«, einer Art Springfluth, welche zur Zeit der Sizygien drei Tage lang die Wassermassen des Amazonenstromes aufstaut und mit der Schnelligkeit von siebzehn Kilometern in der Stunde rückwärts drängt. Man behauptet wirklich, daß sich eine solche Hochfluth bis jenseits der Grenze Brasiliens fühlbar mache.
Am folgenden Tage, den 26. Juni, traf die Familie Garral vor dem Frühstück schon Anstalt, an’s Land zu gehen und die Ortschaft zu besuchen.
Hatten Joam, Benito und Manoel den Fuß schon in mehr als eine brasilianische Stadt gesetzt, so war das bei Yaquita und deren Tochter nicht der Fall. Für diese bildete der Besuch eine Art neues Ereigniß.
Yaquita und Minha legten dem Vorhaben also eine gewisse Wichtigkeit bei.
Andererseits hatte Fragoso als wandernder Barbier schon verschiedene Bezirke Central-Amerikas kennen gelernt, Lina dagegen, gleich ihrer jungen Herrin, den Boden Brasiliens noch niemals betreten.
Bevor jedoch Alle die Jangada verließen, trat Fragoso noch einmal an Joam Garral heran und begann folgendes Gespräch:
»Herr Garral, sagte er, seit dem Tage, wo Sie mich in der Fazenda von Iquitos aufgenommen, beherbergt, gekleidet, ernährt, überhaupt so ungemein gastfreundlich behandelt haben, schulde ich Ihnen…
– Sie schulden mir gar nichts, lieber Freund, fiel ihm Joam Garral in’s Wort. Bestehen Sie also nicht darauf, mir…
– O, darüber beruhigen Sie sich! rief Fragoso, ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen das entgelten zu können. Ich erwähne auch noch, daß Sie mich an Bord der Jangada aufgenommen und mir die Möglichkeit gewährt haben, den Strom hinab zu gelangen. Wir befinden uns nun aber auf brasilianischem Boden, den ich aller Wahrscheinlichkeit nach niemals wiedergesehen hätte. Ohne jene Liane…
– Dafür haben Sie Ihren Dank Lina, nur dieser allein, abzustatten, sagte Joam Garral.
– Gewiß, das weiß ich, erwiderte Fragoso, ich werde nie vergessen, was ich ihr, nicht weniger als was ich Ihnen schulde!
– Das sieht ja ganz so aus, Fragoso, nahm Joam wieder das Wort, als wollten Sie sich verabschieden! Gedenken Sie etwa in Tabatinga zu bleiben?
– Keineswegs, Herr Garral, da Sie mir gestattet haben, Sie bis Belem zu begleiten, wo ich hoffentlich meine alte Beschäftigung wieder aufnehmen kann.
– Nun, wenn das Ihre Absicht ist, was wünschen Sie dann jetzt von mir?
– Ich möchte Sie
Weitere Kostenlose Bücher