Die Jangada
Joam Dacosta’s frischte die Erinnerung an das seit dreiundzwanzig Jahren fast vergessene Verbrechen von Tijuco von neuem auf. Die Gerichtsverhandlungen über den jungen Bergbeamten aus dem Diamantenbezirke, seine Verurtheilung zum Tode und seine Flucht kurz vor der Hinrichtung, Alles wurde wieder besprochen, beurtheilt und womöglich noch ausgeschmückt. Auch ein in dem Diario do Grand Para, der verbreitetsten Zeitung dieser Gegend, erschienener Artikel schilderte ausführlich alle Einzelheiten des grausigen Ereignisses, aber immer voller Gehässigkeit gegen den Gefangenen. Wie sollte auch Jemand ohne Kenntniß der näheren, nur den Angehörigen Joam Dacosta’s klar vor Augen liegenden Umstände an die Unschuld des Angeklagten glauben können?
In der ganzen Bevölkerung von Manao herrschte eine Gährung schlimmster Art. Ein Hause von verblendeten Indianern und Schwarzen umschwärmte das Gefängniß und stieß drohende Rufe aus.
In diesem Lande Amerikas, in dem das schreckliche Lynchgesetz so oft zur Anwendung kommt, verfällt auch das Volk selbstverständlich leicht grausamen Gewohnheiten, und bei der gegebenen Gelegenheit konnte man wohl fürchten, daß die tolle Menge auch hier am liebsten mit eigener Hand Justiz geübt hätte.
Welch’ traurige Nacht für die Passagiere der Jangada! Herrschaft und Diener fühlen sich gleichmäßig von dem Unglücke des Hauptes ihrer Gemeinschaft getroffen, denn auch das Personal der Fazenda gehörte ja gewissermaßen zur Familie. Alle waren bereit, für die Sicherheit Yaquitas und der Ihrigen zu wachen. Am Ufer des Rio Negro strömten unaufhörlich Eingeborne hin und her, erhitzt von der Neuigkeit der Verhaftung Joam Dacosta’s, und wer weiß, zu welcher Ausschreitung sich diese Halbwilden hinreißen lassen konnten.
Indeß verging die Nacht, ohne daß es zu einer Demonstration gegen die Jangada kam.
Am nächsten Tage, als kaum die Sonne ihre Strahlen spendete, versuchten Manoel und Fragoso, welche Benito während dieser Nacht der Angst und des Schreckens nicht einen Augenblick verlassen hatten, diesen seiner verzweifelten Stimmung zu entreißen. Sie führten ihn in’s Freie und bemühten sich, ihn zu überzeugen, daß jetzt keine Minute zu verlieren sei, daß sie sich entschließen müßten, zu handeln.
»Benito, begann Manoel, bemeistere Dich, werde wieder ein Mann, werde wieder der Sohn Deiner Eltern!
– Ach, mein armer Vater, rief Benito, und ich, ich habe ihn dem Tode überliefert…
– Nein, nein, fiel Manoel ein, mit Gottes Hilfe ist noch nicht Alles verloren!
– Hören Sie uns an, Herr Benito!« sagte Fragoso.
Der junge Mann strich sich mit der Hand über die Stirn und bemühte sich, seine Fassung wieder zu gewinnen.
»Benito, fuhr Manoel fort, Torres hat niemals ein Wort fallen lassen, das uns über seine Vergangenheit nur die geringste Aufklärung gab. Wir konnten also nicht wissen, wer der Urheber des Verbrechens in Tijuco ist, noch unter welchen Umständen es begangen wurde. Mit Nachforschungen nach dieser Seite würden wir also nur die Zeit vergeuden.
– Und die Stunden sind uns kostbar, meinte Fragoso.
– Und selbst wenn es uns gelänge, zu erfahren, wer jener Gefährte gewesen ist, so weilt dieser doch nicht mehr unter den Lebenden und könnte für die Unschuld Joam Dacosta’s kein Zeugniß ablegen. Nicht minder gewiß ist aber, daß ein Beweis dieser Unschuld existirt, und auch an dem Vorhandensein des betreffenden Schriftstückes dürfte nicht zu zweifeln sein, weil Torres sich dadurch Vortheile zu sichern versuchte. Das hat er selbst eingestanden. Dieses Document enthielt ein umfassendes, von der eigenen Hand des Schuldigen niedergeschriebenes Geständniß, und rehabilitirt, neben der ausführlichen Schilderung aller Einzelheiten jenes Verbrechens, unseren Vater vollständig. Ja, tausendmal ja, jenes Document ist vorhanden!
– Aber Torres nicht mehr, rief Benito, und das Document ist mit dem Schurken zu Grunde gegangen!…
– Gemach, gemach, und verzweifle nicht vorzeitig! antwortete Manoel. Du entsinnst Dich gewiß, unter welchen Umständen wir Torres kennen lernten. Das war in den Wäldern von Iquitos. Er verfolgte einen Affen, der ihm eine Metallkapsel geraubt hatte, auf welche er besonders Werth zu legen schien, denn er bemühte sich deshalb schon mehrere Stunden, als jener Affe unter unseren Kugeln fiel. Glaubst Du nun etwa, daß Torres wegen einiger darin enthaltener Goldstücke so darauf versessen gewesen wäre, jenes Etui wieder
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