Die Joghurt-Luege
liefen daher gegen das generelle Verbot in den deutschsprachigen Ländern Sturm; Spanien und Großbritannien klagten vor der Welthandelsorganisation (WTO), um einen Abbau der Handelshemmnisse zu erwirken – und gewannen. Dass Tartrazin die juristische Hürde nehmen und in die Supermarktregale zurückkehren durfte, sagt allerdings nicht viel darüber aus, inwieweit es für die menschliche Gesundheit zu- oder abträglich ist. Beispiele für ökonomische Entscheidungen in der Geschichte der Lebensmittelfarben gibt es viele. Als Ende des 19. Jahrhunderts erkannt wurde, dass die damals für Lebensmittel verwendeten Industriefarben extrem giftig waren, machte die Politik Zugeständnisse an die Industrie und zog nur einige aus dem Warenverkehr. Immerhin deckte die deutsche Farbenindustrie damals 80 Prozent des Weltbedarfs und die Chemie kurbelte die Wirtschaft an. Auch ein Treffen im Reichsgesundheitsamt 1914 fiel nicht anders aus. Chemiker, Mediziner und Pharmazeuten sollten entscheiden, ob bestimmte Konservierungsstoffe vom Markt genommen werden sollten. Obwohl begründete Zweifel an deren Unschädlichkeit bestanden, sprachen sie sich gegen ein rigoroses Verbot aus. 66
Gegen Tartrazin haben Mediziner schon vor 25 Jahren Bedenken geäußert. Wie heftig die Substanz wirken kann, beschreibt ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt anhand eines Falles im Fachblatt Ärztliche Praxis . 67 Ein elfjähriges Mädchen leidet unter heftigen Atembeschwerden. Seine Nasenschleimhaut ist stark entzündet und geschwollen, es haben sich ausgeprägte Wucherungen gebildet. Zwei der großen Polypen, die im Nasenhöhlen-Rachenraum sitzen, müssen entfernt werden. Die Veränderungen im Blutbild des Kindes sprechen für eine allergische Reaktion als Auslöser der Atembeschwerden. Um die Symptome zu lindern, muss das Mädchen ein kortikoidhaltiges Nasenspray anwenden sowie dauerhaft ein Asthmamedikament einnehmen. |145| Ein pädiatrischer Allergologe stellt schließlich eine hochgradige Tartrazinsensibilisierung fest, ansonsten ist das Kind allergologisch unauffällig. Eineinhalb Jahre später müssen noch einmal Nachwucherungen entfernt werden. Der HNO-Arzt schreibt: »Im Laufe der Jahre sind mir einige Fälle einer ausschließlichen Tartrazin-Sensibilisierung begegnet. Soweit bekannt, lag bei allen Polyposis nasii vor […]. Obige Diagnostik ist allerdings auf eine Reihe glücklicher Umstände zurückzuführen, die nicht immer gegeben sind.«
Zuckercouleur – die braune Gefahr
Die tiefgekühlte Frikadelle wirkt mit ihrem saftigen, mildbraunen Hackleib wie frisch vom Grill, typisch auch die dunklen Streifen, die jeweils Ober- und Unterseite zieren. Nur kurz in die Pfanne oder die Mikrowelle, etwas Senf oder Ketchup dazu – fertig ist die kleine Mahlzeit. Was der Esser nicht weiß: Der Hackfleischkloß ist nie mit einem Grill in Berührung gekommen. Die Bratfarbe hat er von der Zuckercouleur, neben Bindemitteln und Würze eine der wichtigsten Komponenten in der Fleischmasse, und die appetitlichen Abdrücke heißer Rostspuren stammen vom glühenden Gitter einer Produktionseinheit, die dem Kochklops für wenige Sekunden ihr Brandzeichen aufgedrückt hatte.
Zuckercouleur entsteht durch Erhitzen von Zuckern (zum Beispiel Invertzucker, Traubenzucker, Glucosesirup) mit Reaktionsbeschleunigern, so genannten Katalysatoren, deren Zusammensetzung die Entstehung von Aroma und Farbe steuert. Solche Reaktionsbeschleuniger sind entweder Säuren oder Basen. Es entsteht ein Gemenge bräunlicher bis schwarzer Farbstoffe teils unbekannter Struktur. Nach der Verwendung der verschiedenen Reaktionsbeschleuniger unterscheidet man:
einfache Zuckercouleur (E 150 oder E 150a),
Sulfitlaugen-Zuckercouleur (E 150b),
Ammoniak-Zuckercouleur (E 150c),
Ammoniumsulfit-Zuckercouleur (E 150d).
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Bezeichnung
Reaktionsbeschleuniger
Einsatzgebiete
Einfache Zuckercouleur (E 150/150a)
Natriumcarbonat, Kaliumcarbonat, Essig-, Zitronen-, Schwefelsäure
stark alkoholhaltige Erzeugnisse
Sulfitlaugen-Zuckercouleur(E 150b)
Sulfit, Schwefelsäure, Natriumsulfit, Kaliumsulfit, Natriumhydroxid, Kaliumhydroxid
Speiseeis (nur USA)
Ammoniak-Zuckercouleur(E 150c)
Ammoniak, Ammoniumcarbonat, Natriumcarbonat, Kaliumcarbonat sowie die entsprechenden Hydroxide, Schwefelsäure
Bier, alkoholische Getränke, saure Lebensmittel
Ammoniumsulfit-Zuckercouleur (E 150d)
Ammoniak, Sulfit, Ammonium-, Natrium-, Kaliumsulfit, Kaliumcarbonat, Kaliumhydroxid, Schwefelsäure
saure Lebensmittel, alkoholfreie
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