Die Judas-Variante - V3
wissen es durchaus zu schätzen, dass Sie mitdenken«, fiel Shaw ihm ins Wort. »Aber tun Sie
uns das nächste Mal den Gefallen und überlassen Sie die taktischen Überlegungen den Experten, in
Ordnung?« Dann drehte er ihm brüsk den Rücken zu und wandte sich wieder an Lathe. »Gibt es sonst
noch etwas, das Sie sich hier anschauen möchten?«
»Nein, ich glaube, wir haben genug gesehen«, sagte Lathe. Wenn er sich darüber ärgerte, dass der
Tactor einen seiner Männer heruntergeputzt hatte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. »Sie
sagten, Sie hätten Pläne von der Anlage?«
»Wir haben ein paar ziemlich gute Schätzungen. Sie beruhen auf Aufklärungsfotos, die wir während
der Bauphase gemacht haben«, erklärte Shaw. »Aber sie sind bei Weitem nicht vollständig.«
»Für den Anfang wird das reichen«, sagte Lathe und verstaute das Fernglas wieder im Futteral.
»Fahren wir in die Stadt zurück und schauen es uns an.«
Die Sonne war schon ganz hinterm Horizont versunken, als sie ihre Spur zur Waldlichtung
zurückverfolgt hatten, wo der Kleinbus geparkt war. Shaw setzte sich wieder ans Steuer, und sie
fuhren zur Hauptstraße zurück, die den Berg hinunterführte.
Sie hatten das Vorgebirge verlassen und befuhren wieder die innerstädtischen Straßen, als Judas
ihre Verfolger bemerkte. »Lathe?«, sagte er zögerlich und tippte dem Blackcollar auf die
Schulter.
»Ja, ich sehe sie auch«, sagte Lathe.
»Sie sind auch nicht zu übersehen«, sagte Shaw unwirsch. Sein Profil wirkte versteinert im
flackernden Schein der Straßenbeleuchtung. Er nahm die linke Hand vom Lenkrad, fasste sich unter
den rechten Ärmel, und Judas spürte das Kribbeln des Blackcollarcodes am Handgelenk. Alle
Blackcollars in Reichweite antworten auf Unterstützungsanforderung.
Es kam keine Antwort. »Er hängt seit acht Häuserblocks an uns dran«, wiederholte Shaw die
Nachricht. »Präfekt Haberdae bevorzugt den spektakulären Auftritt. Sieht so aus, als ob wir nun
auch auf uns allein gestellt wären.«
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Judas. Ein Gefühl des Unbehagens beschlich ihn. Das gehörte
nicht zum Plan - zumindest zu keinem Plan, über den man ihn in Kenntnis gesetzt hätte. Nachdem er
gegen Caine ausgewechselt worden war, hatte die Sicherheit sich eigentlich zurückziehen und die
Blackcollars unbehelligt lassen sollen.
»Wir werden ihn in diesem dichten Verkehr nicht abschütteln«, bemerkte Shaw. »Wir müssen
untertauchen.«
»Und wo?«, fragte Lathe.
»Acht Straßenzüge weiter links gibt es ein Viadukt«, sagte Shaw. »Wo Oak unter der Elften
hindurchführt.«
»Ist das der mit einer Einkaufspassage auf einer Seite der Überführung und einem Spielkasino auf
der anderen?«
»Sehr gut - Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht«, sagte Shaw. Ein Anflug zögerlicher Anerkennung
schwang in seiner Stimme mit. »Ja, den meine ich. Wobei aus den aktuellen Karten aber nicht hervorgeht, dass es sich dabei um einen der Zugänge zum alten U-Bahn-Netz handelt,
der sich an dieser Kreuzung befand.«
»U-Bahn klingt immer gut«, meinte Lathe.
»Sehr gut«, pflichtete Shaw ihm bei. »Und aus diesem Grund haben die Ryqril nach der
Machtübernahme alle Eingänge dichtgemacht. Aus den Karten geht allerdings nicht hervor, dass die
weniger distinguierte Bürgerschaft von Inkosi City neue Zugangsschächte zum U-Bahn-System
gegraben hat und als Transportwege für Schmuggelware und konspirative Treffen nutzt. Eins dieser
Schlupflöcher befindet sich zufällig im Hinterzimmer des Kasino-Restaurants.«
»Ein praktischer Fluchtweg«, murmelte Mordecai.
Judas bemerkte, dass er seine Flexarmorhandschuhe schon anhatte. Er griff unter den Mantel, zog
seine Handschuhe hervor und streifte sie sich ebenfalls über.
»Vorausgesetzt, wir können diesen Weg nehmen, wenn wir drin sind«, sagte Lathe. »Wie gut kennen
Sie das U-Bahn-System überhaupt?«
»Gut genug«, sagte Shaw. »Es wird mir sicher gelingen, uns dort reinzubringen und hinten wieder
raus.«
»Und wie gut kennt die Sicherheit dieses System?«, fragte Mordecai.
»Keine Ahnung«, gestand Shaw. »Ich bin sicher, dass sie zumindest ein paar Schlupflöcher
ausfindig gemacht haben, aber ich bezweifle, dass sie bereits das ganze Netz ausgekundschaftet
haben. Es kommt nämlich schon mal vor, dass ein Sicherheitsschnüffler irgendwo reingeht und dann
nicht mehr rauskommt.«
»Wir müssen es eben darauf ankommen lassen«, beschloss
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