Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
und der koptischen Kirche führten. »Doch wenn das so ist – und ich möchte nicht neugierig sein –, aber …«
»Hier kommt der Abt.«
Sie erblickten einen betagten Mönch, der älter als Abrahams Vater aussah und, an einem Stock gehend, auf sie zuwankte. Während der ganzen Zeit, die sie nun schon im Kloster waren, hatte der Abt kaum mehr als die Worte »Guten Morgen«, »Guten Tag«, »Guten Abend« mit ihnen gewechselt.
Offensichtlich gehörte das Plaudern nicht zu seinen Lastern. Aber ein Mensch sollte doch ein paar interessante Laster haben, oder?
»Guten Abend.«
»Guten Abend, Abt.«
»Der Mönch Theodore ist eingetroffen. Morgen fängt er mit Josuas spiritueller Anleitung an.«
Josua nickte. Den Namen hatte der Papst ihm gegenüber erwähnt. Theodore würde auf seiner Reise sein Lehrer sein.
»Theodore? Wer ist … dieser Theodore?«, rief Jussef gereizt. Für Josua war er verantwortlich. Grundsätzlich. »Ich kann das nicht hinnehmen!«, fuhr er wütend fort. »Ich bin für Josua verantwortlich. Ich bin sein Mentor.«
Der Abt überging den Gefühlsausbruch, sah Josua freundlich an und fuhr fort: »Der Mönch möchte dich um ein Uhr morgens vor der ersten Messe sehen. Du sollst in der Nacht über folgende Frage meditieren: An welcher Stelle soll man mit der Lektüre der Bibel beginnen?«
Und damit ließ das Klosteroberhaupt die beiden allein. Unmittelbar darauf ging Jussef, wie von der Tarantel gestochen, auf und ab. »Josua,
ich
bin dein Führer, nicht dieser Kerl. Hat der Papst das nicht gesagt?«
»Mein Führer, ja. Aber er hat nicht gesagt: spiritueller Führer.«
»Aber das ist doch kein Unterschied!«
»Na ja, wie lautet die Antwort auf die Frage, Pater Jussef?«
»Äh, wie bitte?«
»Auf die Frage, die ich beantworten soll: An welcher Stelle soll man mit der Lektüre der Bibel beginnen?«
»Hm.« Jussef war ein wenig verdutzt. Am liebsten hätte er auf der Stelle geantwortet, doch irgendetwas ließ ihn zögern. Im Grunde war die Antwort schwieriger als gedacht. An welcher Stelle soll man mit der Lektüre der Bibel beginnen – beim 1. Buch Mose? Oder wäre für einen Priesterzögling eine andere Stelle geeigneter? Schließlich behaupteten die großen jüdischen Rabbis, dass das 1. Buch Mose zu den kompliziertesten Büchern der Bibel gehöre und dass es voller mystischer Symbole stecke.
Sollte man also lieber mit dem Neuen Testament anfangen – beruhend auf der Überlegung, dass mit dem Eintreffen Christi das Alte Testament endete? Oder mit dem ersten Buch des Neuen Testaments, dem Evangelium des heiligen Matthäus? Aber streng genommen war das älteste Evangelium das des heiligen Markus, also sollte man vielleicht damit beginnen. Andererseits: für einen Priesterzögling … Pater Jussef räusperte sich vernehmlich; es war wichtig, die Autorität zu wahren.
»Das liegt doch auf der Hand. Mit dem 1. Buch Mose.«
»Danke.« Josua stand auf. Der Abt hatte gesagt, er solle darüber meditieren, also würde er nicht viel Schlaf bekommen. »Gute Nacht, Pater.«
»Gute Nacht.«
Josua ging zu der kleinen Mönchszelle, die der Abt ihm bei seiner Ankunft zugewiesen hatte. Er setzte sich aufs Bett, nahm die Bibel zur Hand und begann das Buch Genesis zu lesen. Nach einer Weile legte er die Bibel beiseite. Ihm kam ein betrüblicher Gedanke. Vielleicht irrte Jussef. Er war ein braver Mann, aber selbst Josua merkte, dass Jussef kein Verwandter von Einstein war. Pater Jussef war im Kopf so langsam, wie er es war. Wo also anfangen? Er blätterte in der Bibel und las mal da, mal dort. Minuten verstrichen – dann Stunden –, während er von einem Buch zum anderen sprang. Vergeblich suchte er nach einer Antwort. Immer verzweifelter suchte er. Schließlich betete er. Gott musste die Antwort doch kennen. Er würde ihn sicher erleuchten, nicht?
Kurz vor ein Uhr morgens klopfte es an seiner Zellentür. Ein junger Mönch holte ihn ab. Josua erschien, müde und zerzaust. Er hatte kein Auge zugetan.
»Bruder Theodore bittet um die Antwort auf seine Frage.«
Josua wurde knallrot. »Ich weiß sie nicht.«
»Warte hier!«
Der junge Mönch ging und kam fünf Minuten später zurück. »Er möchte dich heute nicht sehen. Meditiere weiter!«
Betrübt schloss Josua die Tür zu seiner Mönchszelle. Er hätte antworten sollen, was Jussef ihm gesagt hatte. Gut, er war gescheitert. Und obwohl er, Stunde um Stunde, Gott um Hilfe gebeten hatte, war nichts passiert. Existierte Gott überhaupt? Gab
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