Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
ist der kleine dran. Alles nur Schwindel, denkt sie müde.
    In der Nacht hat sie von Zähnen geträumt. Alle Zähne waren ihr ausgefallen, träumte sie. Sie weiß, das bedeutet Tod, alle Traumdeutungsbücher ihres langen Lebens sind sich darin einig. Sie muß sterben, und die Buben werden dann in der Wohnung stöbern, das Silber, die Wertpapiere und den Schmuck suchen. Irgendeine Art Stiftung hat sie sich vage überlegt, die vielleicht vom Waisenamt verwaltet werden könnte und dem Vater und den Söhnen nur vierteljährlich zum Beispiel einen Löffel oder eine Gabel von dem Silber herausrücken würde. Mit offenen Augen liegt sie im Bett und achtet auf die Geräusche des Morgens. Von Zeit zu Zeit schlummert sie erschöpft ein. Immer liegt sie so, auch nachts, in ihrer alten und nicht ganz sauberen Mantille aus Klöppelspitzen, als erwarte sie Gäste. Sie hält es für selbstverständlich, daß die Gattin des Obersten Prockauer doch allerlei Besuch bekommt. Schon lange ist ihr nicht mehr aufgefallen, daß niemand zu ihr kommt.
    Der große Traum ihres Lebens, der nie in Erfüllung ging, war eine festliche Soiree, die sie, die Gattin des Obersten Prockauer, ausrichten würde, in allen Räumen der Wohnung, allen dreien, und im Garten, mit Lampions, ins Freie geschafftem Mobiliar, mit Wein, kalten Braten und Süßigkeiten auf kleinen Tischen, eine Abendgesellschaft mit Zigeunermusik, zu der jeder Offizier der Garnison wie auch der Korpskommandant für eine halbe Stunde erscheinen würden, dazu die Beamten der Stadt mit dem Bürgermeister an der Spitze. Oft hat sie nachgerechnet, ob die Zimmer auch groß genug wären und was der Abend kosten könnte. Sie würde mit beiden Söhnen an der Gartentür stehen, um die Gäste zu begrüßen, im grauen Seidenkleid, das sie sich zur Silberhochzeit hat anfertigen lassen und seither nie mehr getragen hat. Der Oberst könnte bei dieser Gelegenheit alle seine Auszeichnungen anlegen. Wenn sie dieser nie Wirklichkeit gewordene, dabei bis in alle Details ausgetüftelte Traum heimgesucht hat, mußte sie weinen. Doch davon weiß keiner.
    Die Jungen sind aufgewacht, Wasser plätschert, sie waschen sich und unterhalten sich leise. In der Küche kramt das Mädchen herum. Die Arbeit des Tages nimmt ihren Lauf, dieser seltsame, komplizierte Kampf, den sie bewegungslos, keinen Augenblick ermattend, führt, den Haushalt und jeden entscheidenden Schritt der Buben von ihrem Bett aus lenkend. In der Kredenz, vis àvis von ihrem Bett, hütet sie die Lebensmittel. Sie hat dieses Möbel so aufstellen lassen, daß sie das hantierende Mädchen im Auge behalten kann. Jedes Schäufelchen Mehl, jedes Ei, jede Scheibe Speck darf nur unter ihrem gestrengen Blick entnommen werden, und nachdem das Mädchen die Glastüren wieder geschlossen hat, nimmt sie den Schlüssel erneut an sich. Angestrengt setzt sie sich im Bett auf, wenn die Söhne das Haus verlassen, blickt starr hinter ihnen her, durch die Wand hindurch, sieht und begleitet sie. Manchmal glaubt sie, ihre Söhne in aller Deutlichkeit in der Stadt zu sehen, wie sie an einer Straßenecke herumlungern, ist ganz sicher, ihre Stimmen zu hören und auch das, was sie mit diesem oder jenem reden. Wenn sie dann am Abend heimkehrten, hat sie sie bis ins Detail ausgefragt, und nicht selten stimmten ihre Erscheinungen mit den Berichten der Söhne überein.
    Das Dienstmädchen kommt herein, küßt der Gnädigen die Hand, zieht die Rolläden hoch und deckt das Frühstück auf. Sie gibt dem Mädchen den Schlüssel und beobachtet genau, wie es sich an der Anrichte zu schaffen macht. Sie hält die Zuckerdose im Schoß und zählt fünf Stück Würfelzucker heraus. Die Jungen bekommen jeder anderthalb, sie und das Mädchen jeweils einen. Die Sonne läßt schon frühsommerliche Wärme durchs Fenster hereinfließen.
    »Heute kaufst du Fleisch fürs Mittagessen«, instruiert sie das Mädchen. »Mach ein Glas eingemachte Kirschen auf. Wir wollen Powidltascherl machen mit dem alten Zwetschgenmus, es steht dort neben der Seife.« Sie schließt die Augen. »Alles soll so sein, als ob Tibor Geburtstag hätte.«
    Irgend etwas möchte sie ihm an diesem Tag geben. In Gedanken geht sie ihre Wertsachen durch, doch jedes Geschenk kann gefährlich, eine Verführung für ihn sein. Wenn sie ihm die Goldkette gäbe, würde er sie verkaufen oder vielleicht einem Weibsbild schenken. Lajos hat einmal seine Uhr verkauft. Und der Vater der Jungen besorgte sich eines Tages auf Wechsel dreitausend

Weitere Kostenlose Bücher