Die jungen Rebellen
Kronen, fuhr damit in ein Bad und verpraßte die Summe, während sie sich zu Hause mit den Kindern durchschlug. Sie mußte die Dreitausend nach und nach abzahlen, vom Haushaltsgeld, acht Jahre hat sie zurückgezahlt, mit immer neuen Krediten, Groschen für Groschen vom Hauptmannsund Majorssalär abzweigend. Jeden Tag mußte Prockauer weiße Handschuhe haben. Im Sommer wechselte er jeden zweiten Tag die Hemden. Und wenn er weibstoll war, goßer Eau de Cologne in sein Waschwasser, während sie, die Mutter seiner Söhne, sich mit Kernseife wusch.
»Mir hat er gesagt, ich röche nach Talg«, flüstert sie vor sich hin.
Das Mädchen stockt beim Aufdecken, sieht nicht auf, sie kennt die Angewohnheit der Kranken, die manchmal unerwartet und zusammenhanglos etwas verkündet und keine Antwort erwartet. Die Mutter schielt verstohlen zu dem Mädchen. Es stört sie nicht, daß jemand mithört, wenn sie unter dem Vorwand ihres Leidens von Zeit zu Zeit etwas von dem loswerden kann, was sie seit dreißig Jahren beschäftigt und erbarmungslos quält. Prockauer hat ihr einmal vorgeworfen, daß sie keine duftenden Seifen und Parfüms benutzt. Ihre Hände rochen, wie die der meisten Offiziersfrauen, nach Benzin, weil sie die Handschuhe des Mannes Tag für Tag zu reinigen hatte. Gerade in letzter Zeit haben sie solche Verletzungen ständig beschäftigt. Die Photographien Prockauers hängen vis àvis an der Wand über dem Bett, allesamt Variationen eines Themas –zunächst als Leutnant und schließlich in der Gala des Obersten, die letzte in Frontuniform hoch zu Roß. Seit drei Jahren schon redet sie zu den Bildern, in langen Nächten, auch an Nachmittagen, stumm oder halblaut. Prockauer war an die Front desertiert, wo er praßte und zechte, für Kredite Wechsel unterschrieb und Geld aufnahm. Mit einer gewissen Schadenfreude malt sie sich jetzt die Zeit aus, da sich Prockauer mit diesen Wechseln allein wird herumschlagen müssen. Mit stechendem Blick der zusammengekniffenen Augen wendet sie sich dem Porträt des Obersten zu, nimmt ihn höhnisch ins Visier.
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Die Söhne küssen der Mutter die Hand und setzen sich zum Frühstück. Lajos trägt seit einiger Zeit wieder Zivil, hat seine alten Sommeranzüge hervorgeholt, die ihm zu klein geworden sind, und wirkt in diesen Kleidern wie ein Schulbub. Den leeren Ärmel steckt er rechts in die Jackentasche. Nach der Amputation ist er etwas dicker und wehleidig geworden. Die streng zugeteilten Portionen bei den Mahlzeiten genügen ihm nicht. Er geniert sich nicht, beim Essen den jüngeren Bruder anzubetteln und von der Mutter mitleidheischend die besten Bissen einzufordern; auch macht er dabei Angebote für Tauschgeschäfte. Das Mädchen beschwert sich oft, daß er nachmittags die vom Mittagessen übriggebliebenen Reste auffuttert, mit denen sie das Nachtmahl bestreiten wollte. Gut, daß ich die Lebensmittel hier bei mir im Zimmer habe, denkt die Mutter. Lajos ist in den Monaten, seit er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, richtig rund geworden, und sie hat den Verdacht, daß er insgeheim noch zusätzlich irgendwo essen geht. Das nervöse Zucken seines Mundes und der Nasenflügel hat nachgelassen, doch die Augen sind stumpf und apathisch geblieben, nur selten wird sein Blick durch ein hämisches, neugieriges Aufblitzen lebendiger.
Er ist noch immer schön, denkt die Mutter, seine Haare und die Stirn erinnern sie an den Obersten. Aber der so plötzlich verfettende Körper, die weichen, zerfallenden Züge seines Gesichts, die unkontrollierten, unsicheren Bewegungen des verbliebenen Arms liefern nur noch ein Zerrbild des Sohnes. Auch seine Stimme klingt fremd, gedehnt und langsam, fast singend, er quengelt wie ein Kind, wenn er etwas haben will und es nicht bekommt. Die Mutter wagt nicht, ihn zu irgendeiner Arbeit anzuhalten. Sie muß mit ansehen, daß der Zwanzigjährige den Tag mit den Freunden des jüngeren Bruders vertrödelt. Gelegentlich zieht er die Fähnrichsuniform an, heftet sich seine Auszeichnungen an die Brust und steht im Zimmer der Mutter vor dem Spiegel herum, dreht sich hin und her und führt Selbstgespräche wie in der Kindheit, so, als spiele er Soldat. Vor der Mutter kennt er keine Scham, auf ihre Fragen antwortet er nicht, ist wie ein Kleinkind, das ganz in sein Spiel vertieft ist.
Geld wollen sie, denkt sie und schließt die Augen. Es ist Morgen, und der Kampf beginnt, der auch nachts, im Schlaf, nicht endet. Sie preßt ihre schmalen, blutleeren Lippen zusammen.
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