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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Schauspieler«, sagt der Pfandleiher leutselig und nachdenklich. »Sie kommen und gehen. Unsereiner sitzt hier wie ein Fels. Und diese Leute, als ob sie innerlich Flügel hätten. Es bindet sie nichts. Aber daß er sich von den Herren gar nicht verabschiedet hat …«
    Der Wind rüttelt am Fenster. »Es fängt schon an«, bemerkt er ruhig. »Die jungen Herren verstehen nicht? Erstaunlich. Am Morgen hat ihn ein Ermittlungsbeamter gesucht.«
    Havas macht eine Handbewegung: »Er bekam einen Wink, daß er ohne weiteres Aufsehen sofort die Stadt zu verlassen habe. Andernfalls würde er ausgewiesen.«
    Er lehnt sich schwer auf den Tisch: »Es gab eine Anzeige gegen ihn. Eine peinliche Angelegenheit, meine Herren. Man hat ihn beschuldigt, daß er mit seinem Verhalten in einem bestimmten Kreis aufgefallen sei. Er hatte seine Schauspielerkollegen im Verdacht. Kurz und gut, man hat ihn angezeigt. Eine unangenehme Geschichte, meine Herren.«
    Ábel hält sich am Tisch fest. Er fragt so leise, daß es auch in dieser tiefen Stille kaum zu hören ist: »Was ist denn passiert?«
    »Angeblich hat er Knaben verdorben. Es gibt solche Menschen. Sehr peinlich. Auch hinsichtlich der Zukunft dieser jungen Menschen. Die Stadt ist klein.«
    »Das stimmt nicht«, sagt Tibor heiser.
    Der Pfandleiher nickt: »Ich weiß, ich weiß. Angeblich gibt es Zeugen. Die Stadt ist klein, da wird schnell getuschelt, meine Herren. In einer Kleinstadt haben die Menschen Zeit. So ein Skandal bläht sich rasch auf. Kaum vorstellbar, was daraus werden kann, wenn sich zum Beispiel auch noch Zeugen melden.«
    »Wofür, Herr Havas? Zeugen wofür?«
    »Zum Delikt der Verführung. Geruhen Sie zu bedenken. Der Schauspieler war angeblich ein bis an die Knochen verdorbenes Subjekt. Ich bin anderer Meinung. Die Anschuldigung lautet, daß er Knaben verführt hat. Angeblich soll er Gelage veranstaltet haben. Die Anzeige besagt, daß er in der Nacht mehrere Knaben aus den besten Familien ins Theatergebäude geschleppt und dort eine Orgie mit ihnen veranstaltet hat.«
    »Das ist nicht wahr!« schreit Tibor heiser.
    »Dies besagt die Anzeige«, konstatiert der Pfandleiher unerschütterlich. »Die jungen Herren wissen es gewiß besser. Etwas muß daran sein, sonst wäre er nicht Hals über Kopf abgereist. Er zog, meine Herren, wie der Sturm ab. Hinter einem solchen Menschen bleibt nur Verderben zurück. Laut Anzeige hat ein Zeuge beobachtet, daß der Schauspieler einen aus gutem Hause stammenden Jungen auf sonderbare Weise geküßt hat.«
    Ábel tritt zu ihm hin: »Sie haben in der Loge gesessen, Sie, Havas … Sie haben uns beobachtet. Sie haben das Ganze arrangiert. Sie haben den Schauspieler dazu angestiftet … O mein Gott!«
    Er taumelt, seine Lippen sind weiß: »Was wollen Sie? … Tibor, frag ihn! … Was ist hier geschehen? Komm, weg von hier! …«
    »Leider hat es jetzt zu regnen begonnen«, sagt Havas. »Vielleicht warten die Herren hier ab, bis das Unwetter vorüber ist.«
     
    ~
     
    Er schaut hinaus ins Gewitter. Das Fenster wird von Donnerschlägen gerüttelt, das Wasser prasselt auf die Straße. Er schüttelt sanft den Kopf. »Die jungen Herren«, sagt er leise und monoton, »kennen das Leben noch nicht. Der Mensch gewinnt nur sehr langsam an Erfahrung. Lange wußte auch ich nichts. Geruhen Sie, mir zuzuhören. Jetzt regnet es, Sie können ohnehin nichts Vernünftiges unternehmen. Ich bin nur ein Mensch von einfacher Herkunft. Aber vielleicht kann ich die jungen Herren doch aufklären. Die Dinge sind nämlich nicht so einfach, wie der Mensch sich das vorstellt. Bis zu meinem Vierzigsten wußte auch ich noch gar nichts. Man kann nicht sagen: das bist du, so bist du. Geruhen Sie, darüber nachzudenken. Ich hatte Familie, Frau und Tochter. Ich kenne das Leben. Auch der ganz einfache Mensch weiß nie, was ihm der nächste Tag bringen wird.«
    Er atmet schwer, asthmatisch: »Ich bin ein großer Esser und Trinker, meine Herren, aber ich habe ein Herz; daß ich kein gutes Herz habe, kann mir keiner nachsagen. Die peinliche Situation der jungen Herren kann ich verstehen. Was ich tun kann, das werde ich tun. Unter gewissen Voraussetzungen. Wenn die jungen Herren, sagen wir bis morgen abend, die Leihgebühr und die Zinsen begleichen, bin ich bereit, den Pfandgegenstand herauszugeben. Zwingen kann mich keiner dazu. Aber der Havas sagt sich: Sind feine Kerle, die jungen Herren, eigentlich ja noch Kinder. Sonderbare Kinder, ja. Wenn du kannst, hilf ihnen. Havas hört nur

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