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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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ihn beugte, hat der Anhänger angefangen zu schaukeln. Das Sonderbare ist, meine Herren, daß der Mensch in entscheidenden Augenblicken seines Lebens an ganz entlegene Dinge denkt. Zum Beispiel daran, daß man aus Papas schwarzem Mantel für ihn einen Sonntagsanzug schneidern ließ und daß die Ärmel zu lang waren. Die Brünette sieht ihn nur an, unentwegt. Ein solches Mädchen, das lebt auch, denkt er. Sie sitzt auf einer Ecke des Messingbetts, eingehüllt in den roten Seidenfetzen, die Haare in der Stirn, langsam hebt sie die Zigarettenspitze an den Mund und beobachtet jede seiner Bewegungen, sie sagt nichts, sondern starrt ihn nur an. >Was schaust du?< sagt er zu ihr. >Paß auf, daß ich dir nicht gleich ein paar …!< Das Mädchen glotzt, stützt sich mit beiden Armen auf das Fußteil des Messingbetts. Sagt: >Du kannst nicht mit Frauen!< Er geht auf sie zu und hebt die Hand. Das Mädchen ist schon an der Tür und sagt es noch einmal, laut, die Herren müssen sich das so vorstellen, als ob sie ein Urteil sprechen würde: >Du kannst nicht mit Frauen.< Und ist auch schon durch die Tür. Die Madame empfängt ihn, ein erstklassiges Haus. >Vielleicht gibt der Herr uns an einem der nächsten Abende wieder die Ehre<, sagt sie. >Am Abend, bei größerer Auswähl.< Er geht die Stiegen hinunter. >Gewiß, ich komme wieder.< Auf der Straße prasselt noch der Regen nieder. Eine schöne Stadt. Für längeren Aufenthalt etwas eintönig. Er sitzt in einer Kneipe, trinkt Tee mit Schnaps und ißt Fleischpalatschinken. Am Abend geht er in das Haus zurück. Eine Woche lang geht er, statt abzureisen, jeden Abend wieder hin, läßt andere kommen, und auch die Brünette vom ersten Mal. Sie lachen schon alle über ihn. Die Mädchen stellen sich im Hemdchen auf den Korridor, wenn er kommt, sie zeigen mit Fingern auf ihn und lachen. Er kann nicht abreisen. Knirscht mit den Zähnen, schlägt mit dem Kopf auf den Boden, weint, läßt sich Geld schicken. Tagsüber läuft er verwirrt durch die Straßen, schaut herum, redet vielleicht sogar halblaut mit sich. Er kann es nicht fassen. Als ob er plötzlich ganz ohne Grund stumm geworden oder ihm ein Arm abgefallen wäre. Langweile ich die Herren nicht?«
    Der Regen schlägt an die Scheiben, wahre Detonationen rütteln das Fenster. Er spricht lauter, als wolle er das Gewitter übertönen, und rührt sich nicht vom Fleck. »Lemberg tut deinen Nerven nicht gut«, denkt er. Eines Abends schleicht er zum Bahnhof hinaus. Du hattest ein Zuhause, sagt er sich, die selige Frida hat viel geweint, weil du ein Leichtfuß warst und ein Lebemann, und doch hattest du ein Zuhause, du warst jemand, im Winter kamen abends die Bekannten vorbei. Könntest Ausschußmitglied der Stadt sein. Jetzt bist du niemand mehr, weniger als eine Wanze. Warum? Er versteht es nicht. Am liebsten möchte er sterben. Was stirbt, ruht in Abrahams Schoß. Ich weiß nicht, kennen die jungen Herren die Schrift? Der
    Zug fährt mit ihm im Regen dahin, zu seinen Füßen schlafen zwei polnische Bauern, Knoblauch- und Fuselgestank. Er schaut vor sich hin, schüttelt den Kopf wie einer, den der Schlag gerührt hat, brummelt. Die Menschen gucken ihn an. Schade, daß seine Tochter vor gerade zwei Wochen durchbrennen mußte. Die Herren wissen vielleicht noch nicht, daß immer alles zusammentrifft? Ein Unglück kommt selten allein, heißt es. Einzige Tochter, machte sich mit dem invaliden Ulanenleutnant davon. Er zerreißt sich die Kleider, spricht mit niemandem darüber. Du bist nur ein Mensch, sagt er sich, der eine kleine Weile auf dieser Erde leben möchte. Nein, du bist eine Wanze, sagt er sich, ein Nichts und ein Niemand bist du. Gott hat dich zertreten. Wie sagte doch das Mädel in Lemberg? Wenn er nur daran denkt, fängt er an zu zittern, Schwindel befällt ihn, er sieht die Mädchen vor sich, wie sie in ihren kurzen Hemdchen auf den Stufen sitzen, mit dem Finger auf ihn zeigen und lachen. Monate vergehen so, er lebt, geht und spricht mit keinem, doch zu Mädchen geht er nie mehr. Wenn er an die Mädchen in Lemberg denkt, verfinstert sich sein Blick, das Blut steigt ihm zu Kopfe, er möchte um sich schlagen, am liebsten würde er sich in den Zug setzen, zurück nach Lemberg fahren, die Brünette suchen, sie an die Wand schmettern. Wenn er allein ist, betet er oder säuft oder flucht. Man erkennt ihn nicht wieder. Er sagt sich: Kein freundliches Wort hast du je für die selige Frida gehabt, Gott hat dich in der Zelle dafür bestraft, hat

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