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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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erfasste die erste der Säulenreihen, die den Laufweg säumten, mehr aber auch nicht. Gardisten schoben sich an mir vorbeiund zündeten zu beiden Seiten die im Saal verteilten Fackeln, Kerzenhalter und Ölschalen an. Als flackerndes, orangefarbenes Licht den Raum erhellte, ging ich den Laufweg hinunter zum Podium am entfernten Ende, wo der Thron gestanden hatte. Ein Banner mit drei Strichen, die den Thron darstellten, hing an der Wand darüber. Ich erklomm die drei Stufen des Podiums, hielt vor dem Thron an und schauderte.
    Der Saal fühlte sich … leer an. Als ich ihn zum ersten Mal betreten hatte, wurde mir aufgelauert. Eine Kraft, eine Präsenz hatte den Raum erfüllt und meine Haut zum Kribbeln gebracht. Die Stimmen des Thrones hatten mir zugeflüstert, raschelnd wie Herbstlaub auf Stein, unverständlich, aber vorhanden. Und auf dem Podium hatte sich der Thron verwandelt, indem er unablässig von einer Gestalt in die nächste überging, je nachdem, welche der mannigfaltigen Persönlichkeiten die Herrschaft über ihn übernahm. Die Bewegung hatte in den Augen geschmerzt. Damals hatte ich den Thron gehasst – und das Gefühl, das der Raum vermittelte.
    Dann aber hatte ich selbst den Thron bestiegen und die Herrschaft über die Stimmen an mich gerissen. Ich war zu einem Teil der Präsenz geworden, die mir das Kribbeln auf der Haut verursachte. Statt mich nur zu kitzeln, war diese Präsenz zu einer Macht geworden, zu einer lebendigen, pulsierenden Verbindung, die sich über die gesamte Stadt Amenkor erstreckt hatte, die in meinem Blut pochte und die ich mit jedem Atemzug einsog.
    Nun streckte ich die Hand aus, berührte den rauen Granit … und spürte nichts. Keine flüsternden Stimmen überzogen meine Haut mit einem Schauder. Kein Leben pulsierte im Einklang mit meinem Herzen. Der Thron behielt seine Gestalt unveränderlich bei: ein rauer, schmuckloser Steinsitz mit einer rechteckigen Rückenlehne.
    Abgesehen von einem Riss im Gestein.
    Ich streckte die Hand aus und fuhr den Riss mit einem Finger nach. Er war so lang wie mein Unterarm, gemessen vom Ellbogenbis zur Fingerspitze, und zog sich über die Rückenlehne hin wie eine Narbe. Von oben links verlief er winkelig zur Mitte hinunter.
    Die Leere des Raumes erfüllte mich mit einem tiefen, hohlen Schmerz, so intensiv wie die Qualen, die ich vor langer Zeit verspürt hatte, als ich den Leichnam des mehlweißen Mannes am Siel fand. Blutmal hatte ihn und seine Gemahlin getötet, um mich zu treffen. Der Schmerz drohte aus mir herauszubrechen, als ich die Handfläche auf den Thron drückte und den rauen Stein und die Unebenheiten seiner Oberfläche auf der Haut spürte. Mit schierer Willenskraft versuchte ich, den Stein dazu zu bringen, dass er sich veränderte …
    Dann spürte ich, dass Eryn hinter mir den Raum betrat, sich dem Podium näherte und am Fuß der Stufen stehen blieb.
    »Tut sich etwas?«, fragte sie, und ich hörte einen Widerhall meines eigenen Schmerzes in ihrer Stimme. Eryn war länger mit dem Thron verbunden gewesen als ich.
    Ich ließ die Hand sinken, holte Luft und schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Sie seufzte. »Es gibt nichts, was du tun könntest … oder sonst jemand.«
    »Aber ich träume noch immer«, gab ich zurück. Als Eryn nichts erwiderte, drehte ich mich um und wiederholte: »Ich träume noch immer, Eryn. Ich durchlebe Erinnerungen der Sieben: Cerrin, Liviann, Garus, Seth … von allen. Erinnerungen, die ich nicht haben dürfte, ohne mit dem Thron verbunden zu sein.«
    Eryn legte die Stirn in Falten und betrat die erste Stufe des Podiums, ehe sie erneut stehen blieb. »Trotzdem fühlst du nichts, wenn du den Thron berührst?«
    »Nein.«
    »Was ist mit der Stadt? Spürst du etwas von Amenkor? Irgendeine Verbindung?«
    »Nichts. Auch als ich draußen auf dem Landvorsprung beimWachturm war, habe ich nichts gespürt, und das war früher die äußerste Grenze meiner Bewegungsfreiheit.«
    Eryn schwieg, doch ich sah in ihren Augen, die meinem Blick begegneten, dass sie nachdachte.
    »Das ergibt keinen Sinn«, sagte ich in die drückende Stille hinein.
    Eryn holte Luft, schaute zum reglosen Thron und blies den Atem aus. »Es sei denn …«
    »Was?«, fragte ich ein wenig zu scharf.
    »Varis«, sagte Eryn und erklomm eine weitere Stufe des Podiums, »die Sieben haben zwei Throne erschaffen. Das weißt du, schließlich hast du es bezeugt. Du warst dabei . Was, wenn deine Erinnerungen gar nicht von diesem Thron ausgehen? Was, wenn die zwei

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