Die kalte Koenigin
waren auf dem Deckel Enthauptungen dargestellt. An seinen Ecken gab es unter den gemeißelten Figuren fremdartige geometrische Muster zu sehen, die dermaßen gedreht und gewunden waren, dass ich das Gefühl hatte, sie bewegten sich leicht.
»Es gibt sie immer noch?«, fragte ich.
»Dies ist ihre Stadt. Sie würde ohne ihre Königin nicht existieren.«
»Ihr haltet sie hier gefangen?«
»Denkst du, so etwas täte ich meiner Mutter an? Der Mutter von uns allen?«
»Warum ist er verschlossen?« Ich ergriff eine Kette und zog daran.
»Kein Schloss könnte Ixtar aufhalten«, entgegnete er. »Sie ist nicht wie wir. Sie kann durch Schlösser gehen. Sie kann durch Türen schlüpfen, als Rauch durch ein Schlüsselloch.«
Einen Moment lang meinte ich, einen Laut aus dem Inneren des Sarges zu vernehmen, wenn auch nur schwach.
Er grinste und brach in schallendes Gelächter aus, wobei er seine dunklen Zähne zeigte. Dann sprang er auf den Deckel
und vollführte einen sonderbaren Tanz darauf. Anschließend ließ er sich auf alle viere nieder, und zum Schluss legte er sich auf den Deckel und streckte die Arme über dem Kopfende des Sarges aus. Er drückte das Ohr dagegen und klopfte gegen den Deckel. »Hörst du es?«
Ich hatte kein Geräusch gehört, aber er legte den Finger auf die Lippen, um mir zu bedeuten, ich sollte still sein. Als ich horchte, hörte ich ein Kratzen aus dem riesigen Sarg.
»Hier ist eine Opfergabe für sie. Ein Opfer. Dabei handelt es sich um ihre persönliche Kammer, und in ihrem Inneren kann sie mit ihren Opfern tun, was auch immer ihr beliebt. Sie ist anders als wir. Sie trinkt nicht nur von ihnen, Aleric. Sie spielt mit ihnen. Sie liebkost sie. Sie verfügt über einen gewissen Appetit auf Fleisch«, meinte er. »Der Deckel des Sarges ist zu schwer, als dass irgendjemand daraus entkommen könnte. Doch wenn mehrere hineingelegt werden, damit sie, wenn sie einige Zeit schläft... genug... hat, so müssen wir diese dort drinnen festhalten, bis sie zurückkehrt.«
»Wie lange musste er auf seinen Tod warten?«
»Einige Nächte. Sie kommt nicht sofort, um sie zu holen. Ihr gefällt die Angst ihrer Opfer. Diese ist eine Verräterin.« Er stand auf und erhob sich mit ausgestreckten Armen ein kleines Stück in die Luft. »Es ist nur gerecht, unserer Mutter Opfer zu bringen, denn ihr Geschmack ist anspruchsvoll. Sie ernährt sich von ihren eigenen Kindern.«
»Sie trinkt Vampyrblut?«
Er kehrte zum Kopfende des Sarkophages zurück. »Ich habe an dir die gleiche Eigenschaft gerochen. Du hast von einem Vampyr getrunken. Doch bei eurem Volk herrscht die Regel, dass dies strengstens verboten ist. Tun alle Mischlinge dies?«
»Ich vergiftete mein Blut mit dem Elixier einer heiligen Blume. Ich trank, damit mein Freund von mir trinken konnte und wir uns während einer schrecklichen Gefangenschaft gegenseitig am Leben zu erhalten vermochten. Wir verschlangen einander nicht, wie es die Flussvampyre tun. Oder wie es diese Vampyrmutter tut.«
»Gab es dir Kraft, sein Blut zu kosten?«
»Es vernichtete uns beide beinahe. Doch wir überlebten. Wir lebten jahrelang in diesem bedauernswerten Zustand.«
»Wo befindet sich dieser Freund?«
Vor meinem geistigen Auge erschien Ewens Gesicht. Sei in Sicherheit. Sei in Sicherheit. »Er ist noch immer gefangen.«
»Ixtar gedeiht durch das Blut ihrer Kinder«, sagte Nezahual. »So wie meine Schwester Medhya eines Tages durch das deine gedeihen wird, Mischling. Ixtar genießt auch das Fleisch. Sie beschützt unsere Stadt, solange wir ihr Nahrung bringen. Genauso, wie uns Sterbliche Opfergaben reichen, so müssen auch wir ihr zu gewissen Zeiten unser Blut darbringen.«
Ich sah den großen Sarkophag an und stellte Überlegungen über den Vampyr in seinem Inneren an. Was für ein Verräter war dies? Wer hatte etwas so Schreckliches in dieser Stadt getan, dass er – oder sie – in den Sarg der eigenen Mutter gesperrt worden war?
»Ich werfe niemanden hinein, der es nicht verdient«, sagte Nezahual, indem er mich argwöhnisch beäugte. »Diejenigen, die mich verraten, diejenigen, die spionieren oder danach trachten, die Stadt für Aquil oder Kulcan zu stürzen, oder auch meine liebe bösartige Enkelin Pacala, diese werden sich eingesperrt in Ixtars Sarg wiederfinden. Sie kommt nicht jede Nacht dahin zurück. Aber wenn ihr Verlangen nach Vampyrblut zu
groß wird, so kommt sie hierher, wie eine Spinne, die zu der Fliege zurückkehrt, die ihr Netz berührt hat. Sie nimmt
Weitere Kostenlose Bücher