Die kalte Koenigin
erlebt hat. Wenn ihr die letzten Augenblicke ihres Lebens in euren
Mündern spürt, so zieht euch zurück. Breitet eure Flügel über uns aus, damit niemand sehen kann, was vor sich geht.«
Wir nahmen Jehan in unsere Arme und erhoben uns mit ihr in die Luft, so dass es wirkte, als schwebte sie zwischen uns. Ich teilte ihr mit, dass das Eindringen unserer Zähne in ihre Adern einen leichten Schmerz verursachen würde, der aber rasch wieder verginge. Wir hielten sie empor, wobei wir auf ihr gebrochenes Bein Acht gaben, da ich nicht den Wunsch hegte, ihr noch weiteres Leid zuzufügen. Midias legte den Mund auf ihren linken Unterarm und Ewen auf den rechten.
Ich suchte mir die Stelle an der Kehle aus. Meine scharfen Eckzähne glitten heraus und drangen wie äußerst dünne Rasiermesser in ihr Fleisch ein. Ihr Kopf fiel nach hinten, als ich das Blut aufleckte, und sie schloss die Augen, als fiele sie in jenen Schlaf, den die Sterblichen so fürchten. Wir tranken sie aus, während die Leute, die uns beobachteten, wieder schwiegen, als ob sie noch niemals zuvor drei Dämonen gesehen hätten, die eine Jungfrau auf diese Art nahmen. Ich hatte das Gefühl, dass sie alle gemeinsam den Atem anhielten, während Jehans Lebenssaft unsere Kehlen hinunterrann.
Als ich jenen letzten Schluck Blut kostete, bevor die Hand des Todes Jehan mit ihrem Griff ganz umschlossen hatte, flüsterte ich meinen Kameraden zu: »Jetzt.«
Wir brachten sie auf die Erde zurück. Midias’ Flügel öffneten sich, ebenso wie die von Ewen, und die beiden wurden zu einem schwarzen Umhang, der uns gemeinsam umhüllte.
Ich beugte mich über Jehan und spürte ihre letzten Atemstöße auf meinem Gesicht. Dann presste ich meine Lippen auf die ihren und zwang sie weiter auseinander, damit mein Atem in ihre Lungen eindringen konnte.
Ich spürte das Feuer des Heiligen Kusses, als ich ihn weitergab. Ein Wesen entstand zwischen uns, ein drittes Individuum, welches nur dort existierte, in jenem Moment – das Wesen, zu dem sie wenige Tage nach ihrem Tode werden würde, eine Brücke zwischen derjenigen, die nicht sterben konnte, und derjenigen, die an der Schwelle des Todes umkehrte.
Es dauerte bloß einige Augenblicke. Als es dann vorbei war, war auch Jehans Seele ihrem Gefängnis entflohen, während sie zum letzten Mal Atem geholt hatte.
Wir hoben Jehan in die Höhe, damit die Menge sie sehen konnte, da dies der Preis der Menschen war, ihr Ziel, ihre Gier: ein weiterer Leichnam, eine bleiche Jungfrau, ein Blutvergießen, ein Sieg der geflügelten Dämonen in diesem Spiel.
Viele Menschen eilten zu den Netzen, um einen genaueren Blick zu erhaschen, und einige drängten sich übereinander. Sie seufzten, schluchzten, jubelten, brüllten, stampften mit den Füßen und priesen die Namen des Falkners und der geflügelten Dämonen. Einige der Frauen drückten Blumengirlanden durch das Geflecht, als wollten sie uns damit ihre Zuneigung zeigen. Außerdem pfiffen sie und schrien ihre Freude heraus.
Wir präsentierten das Opfer den Leuten auf allen Seiten der Arena. Zuletzt boten wir es dem Adel dar. Auch die Adligen waren bis zum Rand der Netze und der Mauer gekommen, um uns zu sehen.
Ich warf einen Blick hinauf zu Alienora, die nicht länger Alienora war, und sie sah mich an, als hätte sie mich nie zuvor gesehen.
Neben ihr stand Corentin, der an Gewicht zugenommen hatte und in den Zierrat derer von edler Herkunft gekleidet war.
Dort legten wir Jehans Leib sanft nieder, und ich hielt meine Hand unter ihren Kopf, während ich ihn auf dem schmutzigen Boden ablegte.
Meine Freunde ließ ich dort zurück. Ich küsste sie beide auf die Wange, wie es für Meister angebracht war, und hob ihre Arme in die Höhe, damit die Menge ihrer Verehrung für die Dämonen Ausdruck verleihen konnte, die in dieser Nacht in dem Spiel gesiegt hatten.
Zu Midias sagte ich: »Nun liegt es an uns dreien.« Ich nickte in Richtung der Masten und Netze über uns und um uns herum.
»Ich habe es versucht«, entgegnete Midias. »Viele von uns haben es bereits probiert. Glaubst du, dass in all diesen Jahren nicht auch stärkere Vampyre das versucht haben, was du planst? Selbst die Schwerter können dieses Netz nicht durchtrennen, und dann gibt es noch die Moms. Sie sind dort oben, am Himmel.«
»Sind sie so stark?«, fragte ich.
»Sie benötigen keine Stärke.« Er lachte bitter. »Es gibt inzwischen beinahe hundert von ihnen, und sie stürzen sich auf ihre Opfer wie Hornissen auf eine Maus.
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