Die kalte Koenigin
Silberfäden so eng um den Körper gewickelt worden, dass sie bis zum Oberschenkel nah am Körper anlag und dann ungehindert bis auf den Boden wallen konnte. An ihren Armen trug sie silberne Armbänder, die mit Bernstein und Rubinen besetzt waren.
Über ihrem Kopf hing ein dunkler Schleier, der über ihre Stirn herabfiel, als sollte er sie vor dem Licht schützen.
Alienora stand vor mir. Aber ich konnte sie mir nicht länger unter diesem Namen vorstellen. Sie war zu jenem anderen Wesen geworden – zu dieser Frau, die Enora genannt wurde.
»Auf die Knie«, sagte sie mit einer Stimme, die so kalt war wie Stein.
Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen.
Indem ich nur den Schmutz betrachtete, der die Bodenplanken unter mir bedeckte, kniete ich mich hin. Sie sprach
so leise, dass die Menschenmenge sie nicht hören konnte – nur ich.
»Du bist der Meister der Spiele, aber damit kannst du dir nicht die Freiheit erkaufen«, sagte sie. »Was möchtest du als Sklave dieser Stadt erbitten? Was ist dein Begehr? Huren? Blut? Sterbliche, die du in deiner Gruft zerreißen kannst? Das sind die Dinge, um welche die Dämonen sonst bitten, wenn sie in dem Spiel gewinnen.«
Ich blickte zu ihr auf und sah die knochenbleiche Farbe auf ihrem Gesicht, mit Streifen aus roter und blauer Farbe, als bereitete sie sich auf einen Krieg vor. Kriegsgöttin. Dazu war sie geworden. Zu einer Stammeskriegskönigin, die die Felle wilder Tiere trug und angemalt war wie die Königin Taranis aus alter Zeit.
»Du erinnerst dich an nichts aus unserer Vergangenheit«, sagte ich.
»Sage mir, was dein Begehr ist, Sklave«, erwiderte sie. »Sonst wirst du keine Belohnung erhalten.«
»Die Schatten benutzen dich«, entgegnete ich ihr. »Der Alchimist benutzt dich. Sie werden sich von dir abwenden, wenn ihre Zauber vollständig sind, Alienora.«
»Nenne mich nicht bei diesem Namen«, entgegnete sie. »So wie du einst gestorben bist, so ist auch dieser Name gestorben. Ich bin Enora, und du wirst dich meinem Stab beugen. Du wirst dich dem heiligen Schwert von Taranis beugen.« Sie hielt mir den Stab der Nahhashim direkt über den Kopf und erhob das Schwert. Ich erblickte merkwürdige Formen, die sich darauf bewegten, als ob es selbst Leben enthielte. Aber sie verstand noch immer nicht die Macht des Stabes der Nahhashim – diese war durch die Zauberei der Myrrydanai oder
durch Artephius und seine Magie nicht freigesetzt worden. Der Stab enthielt Macht, aber niemand war imstande, sie auszuüben.
Niemand außer mir, dachte ich. Ich konnte einen Satz machen und ihn packen. Er war mir so nahe. Er rief nach mir, und ich spürte mein Verlangen nach ihm. Ich begann meine Hände auszustrecken, langsam und vorsichtig, damit sie es nicht bemerkte.
»Ich will meine Kinder«, beantwortete ich ihre Frage.
Ihre Augen verengten sich, sie schürzte die Lippen. Sie senkte das Goldschwert auf meine Schulter herab und drückte die Breitseite seiner Klinge gegen meine Haut. Es war erhitzt worden, dieses Schwert, daher verbrannte es mir die Haut und ließ an den Stellen, an denen es mich berührte, Blasen entstehen. »Du hast keine Kinder.«
Ich blickte wieder zu Boden.
»Du bist bereits tot, während du hier vor mir kniest. Doch einst war ich dir zugetan. Ich suchte jene Orte auf, denen die Mächte der Götter innewohnen mögen«, sagte sie. »Um dich zu retten. Doch du gehörst zu den Legionen der Verdammten, und der Knabe, den ich einst liebte, starb in einem fernen Krieg.«
»Ich will meine Kinder«, wiederholte ich. »Du magst sie unter den Toten finden. Ich ließ sie über einem heiligen Tümpel verbluten, als Opfer für jemanden, der bedeutender ist als alle Sterblichen. Bitte um Huren oder Blut, aber bitte nicht um die Toten. Genieß deine Vergnügungen, bevor du die Umarmung des Roten Skorpions spürst, Falkner.«
Dann fühlte ich, wie ein Schlag meinen Kopf traf, und blickte auf. Ich sah, wie sie den Stab der Nahhashim mit großer
Wucht auf mich herabsausen ließ. Als er mich traf, blickte ich sie an und erkannte ein anderes Gesicht, das ihr eigenes überlagerte. Es wirkte, als ob ein Geist aus dem Inneren dieses angemalten Gesichtes spähte und mich durch ihre Augen beobachtete.
Ein Schatten der Myrrydanai befand sich direkt in ihr.
Sie rief der Menschenmenge etwas zu. Ihre Stimme war tief und hallte durch die Arena, wie die Stimme einer Königin. Auf jeden Satz, den sie äußerte, reagierte die Menge mit Beifall. »Ihr hattet eure Spiele!«, rief sie.
Weitere Kostenlose Bücher