Die kalte Legende
auf die Füße. »Haben Sie Rachid schon –« Jetzt sah er die Pistole mit dem Schalldämpfer, die sich wenige Zentimeter vor seinem Kopf befand. »Wer sind Sie?«, flüsterte er rau. »Wer hat Sie geschickt?«
»Wir sind, wer wir sind«, antwortete der Mann mit der Waffe. Er wand Taletbek die Stöcke aus den Händen, packte ihn an den Handgelenken und zerrte ihn durchs Lager zu einem Pfosten neben der Leiche von Rachid. Der Mann, der Mrs. Rainfield erschossen hatte, brachte eine Rolle dicker, orangefarbener Paketkordel und fesselte dem alten Mann die Hände. Dann warf er die Rolle über ein unter der Decke verlaufendes Rohr und zog an der Kordel, bis Taletbeks Arme senkrecht in die Luft ragten und fast aus den Schultergelenken gezogen wurden. Nur noch die Zehenspitze seines gesunden Fußes schabte über den Zement. Der Mann, der offenbar der Anführer des Teams war, trat auf den Greis zu.
»Wo ist Samat?«
Taletbek schüttelte den Kopf. »Ich kann euch nichts sagen, was ich selbst nicht weiß.«
»Du stirbst, wenn du dich weigerst, uns zu helfen.«
»Wenn du in die Hölle kommst, werde ich dort schon auf dich warten, mein Sohn.«
»Bist du Muslim?«, fragte der Anführer.
Taletbek brachte ein Nicken zustande.
»Glaubst du an den Schöpfer, den Allmächtigen? Glaubst du an Allah?«
Taletbek bejahte das.
»Bist du nach Mekka gepilgert?«
Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht nickte Rabbani erneut.
»Dann sprich deine Gebete. Du wirst jetzt dem einzig wahren Gott begegnen.«
Der alte Mann schloss die Augen und murmelte: » Ash’hadu an la il aha ila Allah. Wa’ash’hadu anna Muhammadan rasulu Allah. « – »Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer dem Gott. Ich bezeuge, dass Muhammed der Gesandte des Gottes ist.«
Aus seinem Schuh zog der Anführer des Killerteams einen rasiermesserscharfen Dolch mit einer Kerbe entlang der dünnen Klinge und einem vergilbten Kamelknochengriff. Er trat neben den alten Mann und tastete die weichen Hautfalten am dünnen Hals nach einer Ader ab.
»Zum letzten Mal, wo ist Samat?«
»Welcher Samat?«
Der Anführer wurde fündig und stieß die Klinge langsam in Taletbeks Hals, bis nur noch das Heft zu sehen war. Blut spritzte dem Mörder auf den orangefarbenen Overall, ehe er zur Seite springen konnte. Der alte Mann atmete in röchelnden Zügen, jeder flacher als der davor, bis schließlich sein Kopf nach vorne fiel. Sein Gewicht sackte unter der Kordel weg und riss die Arme aus den Schultergelenken.
Martin stand in der Telefonzelle und wählte Stellas Nummer in Crown Heights. Während er auf den Rufton lauschte, merkte er plötzlich, dass er sich darauf freute, ihre Stimme zu hören – ja, kein Zweifel, sie hatte ihm ein bisschen den Kopf verdreht. »Bist du das wirklich, Martin?«, stieß sie hervor, bevor er den ersten Satz zu Ende sprechen konnte. »Menschenskind, bin ich froh, dass du dich meldest. Ich hab dich vermisst, ob du’s glaubst oder nicht.«
»Ich dich auch«, sagte er unwillkürlich.
Sie räusperte sich. »Was hältst du davon, wenn wir erst den sachlichen Teil des Gesprächs hinter uns bringen? Ja, es wurde eine Obduktion durchgeführt. Aus nahe liegenden Gründen von einem Pathologen der CIA. Der FBI-Mann, mit dem Dad zu tun hatte, wenn er was brauchte, hat mir den Bericht zusammen mit einem Begleitbrief geschickt. Er schreibt, die Polizei habe keine Spuren gefunden, die auf einen Einbruch hindeuten. Die Obduktion hat ergeben, dass mein Vater an einem Herzinfarkt gestorben ist.«
Martin dachte laut nach. »Vielleicht solltest du eine zweite Meinung einholen.«
»Dafür ist es zu spät.«
»Was soll das heißen, zu spät?«
»Da ich nicht da war, hat die CIA Kastners Leichnam einäschern lassen. Sie haben mir nur seine Asche ausgehändigt. Ich bin mit der Urne auf die Brooklyn Bridge gegangen und habe die Asche in den Fluss gestreut.«
»Mm-hm.«
»Ich hasse das, wenn du mm-hm sagst, weil ich nie weiß, was du damit meinst.«
»Gar nichts. Ich will bloß Zeit zum Nachdenken rausschlagen. Hast du mit Xing im Chinarestaurant gesprochen?«
»Ja. Er war sehr misstrauisch, bis ich ihn überzeugen konnte, dass ich eine gute Bekannte von dir bin. Er war sauer, weil du nicht auf der Beerdigung der jungen Chinesin warst, die von deinen Bienen tot gestochen wurde.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Ich habe gesagt, du würdest in einer wichtigen Sache ermitteln, und damit hat er sich zufrieden gegeben. Die junge Frau –«
»Sie hieß
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