Die Kalte Sofie
gehabt hatte, vor allem bei der Erziehung ihres Sohnes Alois, der eine strenge väterliche Hand sicher gut hätte brauchen können. Aber ob er die bei Vinzenz gefunden hätte, der seine Abende lieber im Wirtshaus verbracht hatte als bei Frau und Kind? Vroni weinte ihrem Verflossenen jedenfalls keine Träne nach.
Nachdenklich musterte sie ihr Gesicht im Spiegel. Eigentlich war sie noch ganz gut erhalten für ihr Alter. Und die paar Lachfältchen um Augen und Mund waren eher etwas, worauf man stolz sein konnte. Wenn sie da zum Beispiel an die Lachnerin dachte, der sie vorhin in Maria Hilf begegnet war. Ganze zehn Jahre jünger, und eine dermaßen verbitterte, steile Falte zwischen den Augenbrauen! Beneidet hatte Vroni ihre Giesinger Nachbarn nie, wenn die sonntags in der Kirche den heilen Familiensegen rausgekehrt und Vroni schiefe Blicke zugeworfen hatten. Nach Vinzenz war ihr kein Mann mehr ins Haus gekommen. Zu sehr hatte sie ihre Freiheit zu schätzen gelernt.
Mit der Sofie und dem Joe hingegen war das was ganz anderes. Die beiden gehörten zusammen wie der Topf zu seinem Deckel, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Und die leidige Gschicht damals … Blöd gelaufen, um es auf den Punkt zu bringen. Rosenhochzeit hätten die zwei heuer gehabt. Aber was nicht mehr war, konnte wieder werden. Und mit der Muttergottes als Mitverschwörerin durfte ja eigentlich nichts mehr schiefgehen. Oder?
Nervös sah Vroni auf ihre Armbanduhr. Herrgott, wo blieb jetzt der Bua? Nur nicht die Nerven verlieren! Das war jetzt das Wichtigste.
Sie schloss die Augen und lauschte dem Rattern der Trockenhaube und dem Radiogedudel, das in Fetzen an ihr Ohr drang. Gleich müssten die Nachrichten kommen. Vielleicht würden die sie etwas ablenken.
München-Harlaching. Ein rätselhafter Brand hat heute in den frühen Morgenstunden die Feuerwehr in Alarmbereitschaft versetzt. Auf dem Anwesen von Ministerialdirigent Konstantin Siebert brannte der Gartenpavillon vollständig aus. Möglicherweise kam dabei ein Mensch ums Leben. Die Brandursache ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ungeklärt. Wie ein Polizeisprecher betonte …
Vroni verzog das Gesicht. Siebert, Siebert. War das nicht dieser schmierige Politiker, der gestern in Regensburg irgendwas feierlich eröffnet hatte, die Universitätsbibliothek oder so? Und diesen Anlass gleich mal wieder dazu missbraucht hatte, um in salbungsvollen Worten auf die »Werte unserer Gesellschaft« hin zuweisen und »die Jugend, auf der all unsere Hoffnungen ruhen«, zur »Erhaltung dieser Werte« zu ermahnen? Vroni erinnerte sich dunkel, heut früh in der Zeitung über dergleichen gestolpert zu sein.
»Ihr Kaffee, junge Frau!«
Vroni öffnete verdutzt die Augen.
Eine Tasse Kaffee wurde auf der schmalen Ablage vor ihr abgestellt. Von einer braun gebrannten männlichen Hand.
Freudig überrascht sah Vroni auf. »Da bist ja endlich! Hab schon gedacht, du kimmst nimmer.«
Mit einem amüsierten Augenzwinkern nahm Joe auf dem Friseurstuhl neben Vroni Platz. Fesch sah er wieder mal aus, der Bursch. Herrschaftszeiten!
»Des tät ich mich nie trauen, Vroni. Ich weiß ja, was mir sonst blüht.« Neugierig betrachtete Joe Vronis Gesicht. »Du führst doch was im Schilde. Also? Ich höre.«
Anstelle einer Antwort griff Vroni nach ihrem Kaffee und nippte. Bei einem dermaßen ausgefuchsten Mannsbild wie dem Joe half wohl nur ein Frontalangriff.
»Die Sofie ist wieder in der Stadt.«
Joes Lächeln verschwand. »Des hat mir grad schon die Manu erzählt. Aber wennst jetzt meinst, ich käm deswegen noch mal bei ihr angekrochen, täuschst dich gewaltig. Was vorbei ist, ist vorbei.«
In Gedanken schickte Vroni ein Stoßgebet zum Himmel: Heiliger Valentin und heilige Muttergottes, stehts mir bei! Nach einem schrägen Seitenblick zu Manu, die inzwischen einen älteren Herrn in der Mangel hatte, winkte Vroni ihren quasi Exschwiegersohn näher zu sich heran und musterte ihn eindringlich.
»Jetzt tu halt ned so, als ob dir des grad wurscht wär! Ihr zwoa hängts doch immer noch aneinanda. Oder ned?«
Joe zögerte. Ein Schatten flog über sein Gesicht. Dann nickte er kaum merklich.
»Ich für meinen Teil schon. Aber ich glaub halt nicht, dass die Sofie uns eine zweite Chance geben würde, nach allem, was war …«
Vroni schüttelte energisch den Kopf. »Will sie eben schon, glaub mir! Sie weiß es nur noch ned. Pass auf, Folgendes hab ich mir denkt …«
Vroni zog Joe noch näher zu ihrer Trockenhaube und
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