Die Kalte Zeit
sagte Wolf mit kalter Stimme.
Gesa wandte den Kopf ab. Was ihr gerade durch den Kopf schoss, war so unglaublich, so infam, dass sie es niemals aussprechen durfte: Was, wenn das ganze ein Trick war? Wenn Wolf diese Typen erfunden hatte, um an die Zapfen zu kommen und die Samen zu vernichten? Dann konnte er in aller Seelenruhe seinen Umstieg auf den Spargelanbau angehen. Und sie, Gesa, hatte nichts mehr in der Hand.
Ihr Atem beschleunigte sich, doch sie sprach sehr leise, sehr beherrscht: »Wolf, ich weiß nicht . . . wer sollte denn so was machen? Ehrlich gesagt klingt das nicht sehr glaubwürdig.«
Was dann geschah, dauerte nur Bruchteile von Sekunden und traf Gesa völlig unvorbereitet. Wolf setzte sich ruckartig auf, holte mit seinem Arm aus und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Gesa schrie auf und fiel zur Seite auf das Bett, quer über Wolfs Beine. Er trat nach ihr. Sein Atem ging heftig. »Sag das noch mal! Sag, dass ich lüge. Los, sag es!«
Gesa rollte sich vom Bett und hielt die Hand schützend vor die schmerzende Stelle im Gesicht. Wolf hatte sie knapp unterhalb des linken Auges getroffen. Dann kam sie auf die Beine. Sie lief in Richtung des Badezimmers.
Wolf sprang aus dem Bett und holte sie noch vor der Schlafzimmertür ein. »Glaubst du, ich schlag mir selbst ein blaues Auge? Glaubst du das?«
Gesa schüttelte stumm den Kopf.
Wolfs Gesicht war hochrot, er verzog es zu einer Grimasse, er hatte Schmerzen. Gesa sah noch mehr. In Wolfs Augen standen Tränen. Und dahinter verschwamm glasig ein Ausdruck, den sie bei ihm noch nicht gesehen hatte. Wolf hatte Angst.
»Sie kommen wieder, Gesa.«
»Dann ruf die Polizei an!«
»Keine Polizei! Sonst wollen sie Felix etwas antun.«
Gesa spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. »Was sagst du? Wer sind diese Typen?«
Wolf nahm ihren Arm, zog sie zurück ins Schlafzimmer und wollte die Tür schließen.
»Nein!« Gesa befreite sich aus seinem Griff und lief ins Kinderzimmer.
Felix lag zusammengerollt wie ein Embryo. Die Bettdecke war verrutscht und wärmte ihn nicht mehr. Gesa breitete sie über ihn. Dann stand sie still vor dem Bett und betrachtete ihren Sohn. Er atmete ruhig, sie konnte kaum sehen, wie sich sein Körper hob und senkte.
Sie lehnte die Tür an und ging zurück zu Wolf. Er saß auf ihrer Bettseite, den Kopf in die Hände gestützt. Sie setzte sich, hielt aber einen Abstand von einem guten Meter.
Wolf hob nicht den Kopf, doch seine Stimme war plötzlich klar, als sei er nüchtern geworden. »Den einen nennen sie Guram, ich vermute, er ist Georgier. Die anderen beiden scheinen Deutsche zu sein. Ob sie aus der Tannenbaumbranche sind oder nur seine Schläger, weiß ich nicht.« Wolf richtete sich auf. »Jedenfalls hast du sie mit deiner bescheuerten Samenernte auf den Plan gerufen.«
Seine Worte trafen Gesa, als würde er sie noch mal schlagen. »Aber wieso? Was interessiert die an meinen Zapfen?«
»An Borshomi-Samen kommt keiner mehr ran.«
Gesa schüttelte fassungslos den Kopf. Das ganze erschien ihr wie die Handlung eines Gangsterfilms. Schlägertruppen, Erpressung, Korruption. Sie lebte doch in Deutschland, hier gab es Gesetze. Sie mussten diese Verbrecher anzeigen.
»Ich geb denen die Zapfen«, sagte Wolf. »Sie wollen an allen weiteren Ernteerträgen finanziell beteiligt werden. Das ist Schutzgelderpressung, nichts anderes. Aber ich geh auf alle Forderungen ein. Gegen die können wir nichts machen. Die stehen außerhalb des Gesetzes. Und ich weiß nicht, wozu die fähig sind.«
Gesas und Wolfs Blicke trafen sich. Gesa wusste, dass auch Wolf an Felix dachte.
Gesa wandte sich ab. »Die Zapfen sind bei Graupner in der Maschinenhalle.«
Wolf ballte die Hände zu Fäusten. »Du steckst mit denen unter einer Decke, mit unseren größten Konkurrenten und Feinden?«
Gesa lachte auf. »Feinde! Die Typen, die unseren Sohn bedrohen und dich zusammenschlagen, das sind Feinde. Nicht Herbert und Rocco Graupner.« Sie hatte die Worte fast geschrieen, nun beherrschte sie sich. »Ich hatte gar keine andere Wahl. Konrad hat mich gezwungen.«
Wolfs Brustkorb hob und senkte sich heftig. Er rieb sich die Hände. »Dann schicke ich Graupner den Georgier auf den Hals.«
Gesa schüttelte den Kopf. »Wenn der Georgier die Samen nicht kriegt und du ihn dazu noch in eine Falle gelockt hast, dann wird er sich rächen. An Felix! Und stell dir vor, Herbert oder Rocco werden verletzt. Wir können sie nicht ins offene Messer laufen
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