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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sie einen Moment, aber ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können. In zwei Stunden, um elf, würde er wiederkommen, um Sam in den Isolierraum zu bringen. Sie wußten alle, daß er wiederkommen würde. In diesem Moment fühlte er sich außerstande, Sam zu sagen, er ginge jetzt, käme aber bald zurück. Also trat er zurück und verschwand durch die Abschnittstür, an der im Halbdunkel Wärter standen und aufpaßten. Nugent ging zum Isolierraum, in dem für die letzte Stunde des Gefangenen ein Faltbett aufgestellt worden war. Er durchquerte die schmale Zelle und trat in den Kammerraum, wo die letzten Vorbereitungen getroffen wurden.
    Der Vollstrecker des Staates war beschäftigt und hatte alles unter Kontrolle. Er war ein kleiner, drahtiger Mann, der Bill Monday hieß. Er hatte neun Finger und würde, wenn die Hinrichtung stattfand, für seine Dienste fünfhundert Dollar erhalten. Er wurde von Gesetzes wegen vom Gouverneur ernannt. Sein Wirkungskreis war ein winziges Kämmerchen, der sogenannte Chemieraum, kaum einen Meter von der Gaskammer entfernt. Er studierte eine Checkliste auf einem Clipboard. Auf dem Tisch vor ihm standen eine Dose mit einem Pfund Natriumcyanid-Körnchen, eine Flasche mit neun Pfund Schwefelsäure, ein Behälter mit einem Pfund Ätznatron, eine Stahlflasche mit fünfzig Pfund anhydrischem Ammoniak und ein Behälter mit zwanzig Liter destilliertem Wasser. Neben ihm, auf einem kleineren Tisch, lagen drei Gasmasken, drei Paar Gummihandschuhe, ein Trichter, ein Stück Seife, Handtücher und ein Wischlappen. Zwischen den beiden Tischen befand sich ein Säure-Misch-Behälter, auf ein Rohr von fünf Zentimeter Durchmesser montiert, das in den Fußboden und unter der Wand hindurch verlief und in der Nähe der Hebel neben der Gaskammer wieder zum Vorschein kam.
    Monday hatte sogar drei Checklisten. Die eine enthielt die Anweisungen für das Mischen der Chemikalien: Schwefelsäure und destilliertes Wasser würden so vermischt werden, daß eine Konzentration von ungefähr 41 Prozent zustande kam; die Ätznatronlösung entstand durch das Auflösen von einem Pfund Ätznatron in zehn Liter Wasser. Außerdem gab es noch mehrere weitere Chemikalien, die zur Reinigung der Gaskammer nach der Hinrichtung angemischt werden mußten. Die zweite Liste verzeichnete alle erforderlichen Chemikalien und Gerätschaften, und in der dritten waren alle Maßnahmen aufgeführt, die während der eigentlichen Hinrichtung ergriffen werden mußten.
    Nugent sprach mit Monday; alles verlief wie geplant. Einer von Mondays Gehilfen schmierte Vaseline auf die Ränder der Fenster in der Kammer. Ein Angehöriger des Hinrichtungsteams in Zivil überprüfte die Gürtel und Riemen des hölzernen Stuhls. Der Arzt hantierte mit einem EKG-Gerät. Die Tür nach draußen stand offen; dort wartete bereits eine Ambulanz.
    Nugent warf noch einmal einen Blick auf die Checklisten, obwohl er sie schon vor langer Zeit auswendig gelernt hatte. Er hatte sogar eine weitere Checkliste verfaßt, eine Art Tabelle zum Aufzeichnen der Hinrichtung. Sie würde von ihm, Monday und Mondays Gehilfen benutzt werden. Es war eine numerierte, chronologische Liste des Verlaufs dieser Hinrichtung: Wasser und Säure gemischt, Gefangener betritt Kammer, Kammertür verschlossen, Natriumcyanid verbindet sich mit Säure und erzeugt Gas, Gas trifft Gefangenen, Gefangener offenbar bewußtlos, Gefangener eindeutig bewußtlos, Bewegungen des Körpers des Gefangenen, letzte sichtbare Bewegungen, Herzstillstand, Atemstillstand, Auslaßventil geöffnet, Ableitungsventile geöffnet, Kammertür geöffnet, Gefangener aus Kammer entfernt, Gefangener für tot erklärt. Neben jedem Punkt war ein freier Raum zum Eintragen der seit dem vorhergehenden Ereignis verstrichenen Zeit.
    Und dann gab es da noch eine Hinrichtungsliste, eine Aufstellung der neunundzwanzig Schritte, die von Beginn bis Ende des Unternehmens erforderlich waren. Natürlich hatte die Hinrichtungsliste auch einen Anhang, eine Liste von fünfzehn Dingen, die anschließend getan werden mußten und von denen das letzte das Verfrachten des Hingerichteten in die Ambulanz war.
    Nugent kannte jeden Schritt auf jeder Liste. Er wußte, wie man die Chemikalien anmischte, wie man die Ventile öffnete und wie lange sie offenbleiben mußten. Er wußte alles.
    Er ging hinaus, um mit dem Fahrer der Ambulanz zu sprechen und ein bißchen frische Luft zu schöpfen, dann kehrte er durch den Isolierraum in Abschnitt A zurück. Wie alle

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