Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
beim Zaubern vorzustellen, aber das überstieg meine Vorstellungskraft, es sei denn, man betrachtet es als Magie, sich Rugby im Fernsehen anzusehen oder Plätzchen anbrennen zu lassen.
»Sie hatten über viele Generationen hinweg nichts mehr mit Magie zu tun«, räumte Amos ein. »Es ging erst wieder los, als eure Mutter geboren wurde. Aber doch, sie sind eine sehr alte Linie.«
Sadie schüttelte ungläubig den Kopf. »Jetzt war Mom also auch eine Magierin. Soll das ein Scherz sein?«
»Kein Scherz«, versicherte Amos. »Ihr beide … vereint das Blut zweier alter Familien in euch, die beide eine lange, komplizierte Geschichte mit den Göttern haben. Ihr seid die mächtigsten Kanes, die seit vielen Jahrhunderten geboren wurden.«
Ich versuchte, das in meinen Kopf zu bekommen. In diesem Augenblick fühlte ich mich nicht übermäßig mächtig. Mir war übel. »Willst du mir weismachen, dass unsere Eltern insgeheim tierköpfige Götter angebetet haben?«, fragte ich.
»Sie haben sie nicht angebetet«, verbesserte mich Amos. »Gegen Ende der Antike hatten die Ägypter begriffen, dass es bei ihren Göttern nicht um Anbetung ging. Sie sind mächtige Geschöpfe, Urkräfte, aber sie sind nicht göttlich in dem Sinn, wie man sich Gott vielleicht vorstellt. Sie sind erschaffene Wesen, genau wie die Sterblichen, nur sehr viel mächtiger. Wir können sie respektieren, sie fürchten, ihre Macht benutzen oder sogar gegen sie kämpfen, um die Kontrolle über sie zu behalten –«
»Gegen Götter kämpfen ?«, unterbrach Sadie.
»Ständig«, versicherte ihr Amos. »Aber wir beten sie nicht an. Das hat uns Thot gelehrt.«
Ich sah Sadie hilfesuchend an. Bei dem Alten waren offensichtlich ein paar Schrauben locker. Doch Sadie schien jedes Wort zu glauben.
»Also …«, begann ich. »Warum hat Dad den Rosettastein gesprengt?«
»Ach, er wollte ihn sicher nicht sprengen«, sagte Amos. »Das wäre ihm ein Gräuel gewesen. Außerdem gehe ich davon aus, dass meine Brüder in London den Schaden mittlerweile behoben haben. Wenn die Museumsleute ihre Hallen überprüfen, werden sie feststellen, dass der Rosettastein die Explosion wundersamerweise unbeschadet überstanden hat.«
»Aber er wurde in tausend Stücke gesprengt!«, widersprach ich. »Wie sollen sie ihn reparieren?«
Amos nahm eine Untertasse und schleuderte sie auf den Steinfußboden. Die Untertasse zerbrach sofort.
»So sieht Zerstören aus«, bemerkte Amos. »Ich hätte auch Magie einsetzen können – ha-di –, aber so geht es schneller. Und jetzt …« Amos streckte seine Hand aus. »Fügt euch zusammen. Hi-nehm .«
In der Luft über seiner Handfläche brannte eine blaue Hieroglyphe.
Die Scherben der Untertasse flogen in seine Hand zurück und setzten sich wie ein Puzzle zusammen, selbst die winzigsten Staubteilchen fügten sich wieder ein. Amos stellte die unversehrte Untertasse auf den Tisch.
»Coole Nummer«, stieß ich hervor. Ich versuchte, ganz gelassen zu klingen, aber mir fielen all die merkwürdigen Dinge ein, die meinem Vater und mir über die Jahre widerfahren waren, zum Beispiel diese Bewaffneten in dem Hotel in Kairo, die an den Füßen baumelnd am Kronleuchter endeten. Hatte mein Vater das womöglich mit irgendeinem Zauberspruch zu Stande gebracht?
Amos goss Milch in die Untertasse und stellte sie auf den Boden. Muffin kam angetrabt. »Auf jeden Fall würde dein Vater niemals absichtlich ein antikes Relikt zerstören. Ihm war einfach nicht klar, wie viel Macht im Rosettastein steckt. Weißt du, je schwächer Ägypten wurde, umso mehr sammelte und konzentrierte sich seine magische Kraft in den Relikten, die überdauerten. Die meisten befinden sich natürlich noch in Ägypten. Ein paar stehen jedoch in fast jedem großen Museum. Mit Hilfe so eines Artefakts kann ein Magier mächtigere Zauber einsetzen.«
»Versteh ich nicht«, sagte ich.
Amos breitete die Hände aus. »Dann kann ich nichts machen, Carter. Es bedarf jahrelanger Studien, um Magie zu verstehen, und ich versuche, dir alles an einem einzigen Vormittag zu erklären. Das Entscheidende ist, dein Vater hat die vergangenen sechs Jahre nach einem Weg gesucht, Osiris herbeizurufen, und gestern Abend dachte er, er hätte das passende Artefakt dafür gefunden.«
»Moment, was will er denn mit Osiris?«
Sadie warf mir einen gequälten Blick zu. »Carter, Osiris war der Herr der Toten. Dad hat davon gesprochen, dass er Dinge in Ordnung bringen will. Er hat über Mom geredet.«
Der
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