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Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange

Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange

Titel: Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Riordan
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Glatzkopf und einem gepflegten Spitzbart. Er trug einen eleganten Seidenanzug und einen dunklen Mantel, wie ein Geschäftsmann, der gleich in ein Flugzeug steigt.
    Auf einer tieferen Ebene der Wirklichkeit erschien er jedoch als Osiris, der Gott der Toten. Er war als Pharao gekleidet und trug Sandalen, einen bestickten Leinenschurz, einen mehrgliedrigen Halsschmuck aus Gold und Korallen auf der nackten Brust. Seine Haut hatte die Farbe eines Sommerhimmels. Auf seinem Schoß lagen Krummstab und Geißel – die Würdezeichen der ägyptischen Königsherrschaft.
    So seltsam es war, meinen Vater mit blauer Haut und im Rock zu sehen, ich freute mich so, in seiner Nähe zu sein, dass ich fast das Gerichtsverfahren vergaß.
    »Dad!« Ich rannte auf ihn zu.
    (Carter findet, dass ich mich albern benommen habe, aber Dad war schließlich der König des Gerichts, oder? Warum sollte es mir nicht erlaubt sein, zu ihm zu rennen, um ihn zu begrüßen?)
    Ich war schon halb bei ihm, als die Schlangendämonen ihre Stangenwaffen über Kreuz legten und mir den Weg versperrten.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Dad, auch wenn er etwas verblüfft wirkte. »Lasst sie durch.«
    Als ich mich in seine Arme warf, stieß ich Krummstab und Geißel von seinem Schoß.
    Er drückte mich innig an sich und kicherte zärtlich. In seiner Umarmung fühlte ich mich einen Moment lang wieder so geborgen wie als kleines Mädchen. Dann hielt er mich auf Armeslänge und ich sah, wie erschöpft er war. Er hatte Tränensäcke. Sein Gesicht war eingefallen. Selbst die kraftvolle blaue Aura von Osiris, die ihn normalerweise wie der Strahlenkranz eines Sterns umgab, flackerte nur matt.
    »Sadie, mein Liebes«, sagte er angestrengt. »Was führt dich hierher? Ich bin bei der Arbeit.«
    Ich versuchte, nicht verletzt zu sein. »Aber Dad, es ist wichtig!«
    Carter, Walt und Zia näherten sich dem Podest. Der Gesichtsausdruck meines Vaters wurde ungnädig.
    »Verstehe«, sagte er. »Lasst mich erst diese Verhandlung zu Ende bringen. Kinder, stellt euch hier rechts von mir hin. Und unterbrecht mich bitte nicht.«
    Der Bedienstete meines Vaters stampfte mit dem Fuß auf. »Mein Lord, das verstößt gegen die Vorschriften!«
    Er war ein merkwürdig aussehender Typ – ein älterer blauer Ägypter mit einer großen Schriftrolle in den Armen. Zu gut sichtbar für einen Geist, zu blau für einen Menschen, fast so klapprig wie Re. Er war nur mit einem Lendenschurz, Sandalen und einer schlecht sitzenden Perücke bekleidet. Vermutlich sollte dieser glänzend schwarze Keil falscher Haare auf altägyptische Art männlich aussehen, doch zusammen mit dem schwarzen Khol um die Augen und dem Rouge auf den Wangen sah der alte Knabe bloß wie ein grotesker Kleopatra-Imitator aus.
    Die Papyrusrolle, die er hielt, war einfach gewaltig. Vor Jahren hatte ich meine Freundin Liz in die Synagoge begleitet, die Thora dort war im Vergleich geradezu winzig.
    »Schon gut, Du mit gewaltiger Stimme«, erwiderte mein Vater. »Wir können jetzt fortfahren.«
    »Aber, mein Lord –« Der alte Mann (hieß er ernsthaft Du mit gewaltiger Stimme?) war so erregt, dass ihm die Schriftrolle entglitt. Der untere Teil rutschte heraus, rollte sich auf und wie ein Papyrusteppich die Stufen hinunter.
    »Oh, verflixt, verflixt, verflixt!« Du mit gewaltiger Stimme versuchte hektisch, sein Dokument wieder einzufangen.
    Mein Vater unterdrückte ein Lächeln. Er wandte sich wieder zu dem Geist im Nadelstreifenanzug, der noch immer neben der Waage kniete. »Bitte entschuldigen Sie, Robert Windham. Kommen Sie bitte mit Ihrer Aussage zum Ende.«
    Der Geist verbeugte sich und sagte unterwürfig: »J-Ja, Lord Osiris.«
    Er wandte sich seinen Notizen zu und fing an, eine Liste von Verbrechen herunterzurattern, die er nicht begangen hatte – Mord, Diebstahl sowie der Verkauf von Vieh unter Vortäuschung falscher Tatsachen.
    Ich drehte mich zu Walt und flüsterte: »Der ist aus der heutigen Zeit, oder? Was hat er in Osiris’ Gericht zu suchen?«
    Es beunruhigte mich ein bisschen, dass Walt schon wieder eine Antwort parat hatte.
    »Das Jenseits sieht für jede Seele anders aus«, sagte er. »Es hängt davon ab, woran man glaubt. Bei diesem Typen muss Ägypten einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Vielleicht hat er in seiner Kindheit die Geschichten gelesen.«
    »Und wenn jemand überhaupt nicht ans Jenseits glaubt?«, fragte ich.
    Walt blickte mich traurig an. »Dann erlebt er genau das.«
    Von der anderen Seite

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