Die Kanonen von Navarone
nicht! Sie umgingen sie in möglichst großem Bogen und wagten kaum zu atmen, bis sie weit an ihr vorbei waren.
Etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erstiegen sie mühsam die letzten paar Meter des steilen, mit Felsblöcken übersäten Bodens einer Schlucht, blieben dicht hinter der Deckung bietenden, vorspringenden Wand stehen, von wo die Schlucht steil abwärts führte, um dann scharf abzubiegen in nördlicher Richtung. Seit dem Blindgänger waren keine Aufschläge von Mörsergeschossen mehr zu hören gewesen. Diese Fünfzehnzentimeter und die unheimlich heulenden Nebelwerfer hatten, wie Mallory wußte, keine große Reichweite, und die Arbeit der Flugzeuge, die noch über ihnen Kreise zogen, war inzwischen wirkungslos: die Sonne neigte sich schon zum Horizont, in den Schluchten lagen bereits dichte Schatten, so daß auf ihrem Grunde aus der Luft nichts zu erkennen war. Aber die harten, zähen und gewandten Alpenjäger, die jetzt gewiß nur an Rache für ihre hingemetzelten Kameraden dachten, waren ihnen dicht auf den Fersen. Mallory verglich: Dort die in bester Form befindlichen, ausgeruhten und elastischen Gebirgssoldaten, die bisher kaum Kräfte verbraucht hatten – und hier seine kleine Schar, ausgepumpt und abgezehrt nach strapazreichen, aufregenden Tagen und schlaflosen Nächten … was sollte nun werden …?
Er ließ sich nahe der winkligen Biegung der Schlucht so nieder, daß er nach rückwärts Ausschau halten konnte, und betrachtete seine Begleiter mit vorgetäuschter Gleichgültigkeit, an der sie doch spürten, welche unfrohen Gedanken er bei dieser flüchtigen Musterung hatte. Eine Kampfgruppe in sehr schlechter Verfassung.
Panayis und Brown, dessen Gesicht grau vor Schmerzen, zählten nur halb. Zum erstenmal seit dem Aufbruch von Alexandria war Brown ganz apathisch, träge und teilnahmslos, was Mallory als sehr schlechtes Zeichen ansah. Und mit dem schweren Funkgerät, das er noch auf dem Rücken trug, konnte ihm nicht besser werden. Seinen kategorischen Befehl, das Gerät stehenzulassen, hatte Brown in offenem Trotz abgelehnt, kein Zureden hatte geholfen.
Louki war unverkennbar erschöpft, denn, wie Mallory erst jetzt recht erkannte, hatten ihn das ewige, ansteckende Lächeln dieses Mannes und der Federbusch seines großartigen hochgebürsteten Schnurrbarts, der einen so merkwürdigen Gegensatz zu den traurigen müden Augen bildete, über seine körperliche Schwäche getäuscht.
Miller war abgespannt, nicht weniger als er selbst, aber der konnte, genau wie er, noch lange in diesem Zustand durchhalten.
Stevens war noch bei Bewußtsein, doch sogar im Halbdunkel hier unten waren Mallory die Blässe seines seltsam transparenten Gesichts und die weißen, blutleeren Fingernägel, Lippen und Augenlider aufgefallen.
Und Andrea, der Stevens über die Wege in den Schluchten – falls sie das Wege nennen konnten – bergauf und bergab getragen hatte, zwei fast endlose Stunden ohne Pause, sah aus wie immer: unverändert, unzerstörbar.
Mallory holte kopfschüttelnd eine Zigarette hervor. Als er gerade das Zündholz anreißen wollte, fiel ihm ein, daß die Flugzeuge noch über ihnen kreuzten. So warf er es weg. Sein Blick wanderte lässig nach Norden, in der Schlucht entlang. Auf einmal spannte sich sein Körper, die Zigarette krümelte zerdrückt zwischen seinen Fingern. Diese Schlucht bot doch ein ganz anderes Bild als die übrigen, die sie schon passiert hatten? Sie war breiter, mindestens dreimal so lang und verlief schnurgerade. Und, soweit er das in dem Zwielicht erkennen konnte, war sie am Ende durch eine beinah senkrechte Wand in sich abgeschlossen.
»Louki!« Mallory war wieder auf den Beinen, seine Müdigkeit wie weggeblasen. »Wissen Sie, wo wir sind? Kennen Sie sich hier aus?«
»Aber natürlich, Herr Major!« Louki war gekränkt. »Habe ich Ihnen nicht erzählt, daß Panayis und ich in unserer Jugend –?«
»Aber hier sind wir jetzt in einer Sackgasse, an einem toten Punkt!« protestierte Mallory. »Sitzen wie in einer Kiste, richtig in der Falle!«
Louki grinste frech und zwirbelte ein Ende seines Schnurrbarts. Er hatte seine Freude.
»So! Der Herr Major hat zu Louki kein Vertrauen mehr, nicht wahr?« Er grinste noch einen Augenblick, dann klopfte er an die Wand neben sich. »Panayis und ich, wir haben den ganzen Nachmittag diesen Weg ausgeknobelt. In dieser Wand sind viele Höhlen, und durch eine kommt man in ein anderes Tal, das sich bis zur Küstenstraße
Weitere Kostenlose Bücher