Die Kanonen von Navarone
auf Turzig gerichtet. »Tun Sie das nicht«, fuhr er fort, »so wird Andrea den Mann da draußen töten. Dann werden wir Sie und die Wachen da drin erschießen und die Posten am Tor erstechen. Neun Tote – und alles umsonst, denn entkommen werden wir sowieso … Da kommt er schon.« Mallory hatte ganz leise gesprochen, seine Augen und sein Gesicht waren mitleidlos kalt. »Neun Tote, Oberleutnant – und das bloß, weil Sie stolz sein wollen?« Absichtlich hatte er den letzten Satz in fließendem Deutsch gesprochen, und um seinen Mund zuckte es ein wenig, als er wahrnahm, daß Turzig kaum merkbar die Schultern hängen ließ. Da wußte er, daß er gewonnen hatte: daß Turzigs letzter Schachzug auf seiner vermuteten Unkenntnis der deutschen Sprache beruhte und diese Hoffnung nun zuschanden war.
Die Tür wurde aufgedrückt, ein schwer atmender Soldat stand auf der Schwelle. Er war bewaffnet, aber trotz der Kälte nur mit Hose und Unterhemd bekleidet.
»Herr Oberleutnant, Herr Oberleutnant, wir haben Schüsse gehört –.« Er sprach natürlich Deutsch.
»Hat nichts zu sagen, Feldwebel.« Turzig neigte den Kopf über ein offenes Schubfach und tat, als suche er da etwas, gewissermaßen um dadurch zu erklären, weshalb er allein in dem Raum war. »Einer von unsern Gefangenen wollte ausreißen … wir haben ihn aufgehalten.«
»Soll ich den Sanitäter vom Dienst –?«
»Nein, leider haben wir ihn für immer aufgehalten.« Turzig lächelte matt. »Sie können morgen früh ein paar Mann zum Beerdigen abteilen. Jetzt könnten Sie noch den Posten am Tor sagen, daß sie mal einen Augenblick herkommen sollen. Und Sie selbst legen sich schlafen, sonst erkälten Sie sich noch!«
»Soll ich eine Wache zur Ablösung einteilen?«
»Nein doch!« sagte Turzig nervös. »Es ist ja nur für eine Minute, und außerdem sind die Leute, um derentwillen wir die Posten aufstellen, ja schon hier drin.« Er preßte einen Moment die Lippen zusammen, als ihm bewußt wurde, welche Ironie in seinen Worten lag. »Also schnell jetzt, Mann, ich kann hier nicht die ganze Nacht zubringen.« Er wartete, bis die Schritte des Laufenden nicht mehr zu hören waren, dann fragte er Mallory: »Zufrieden?«
»Vollkommen. Und ich bitte Sie aufrichtig um Verzeihung«, sagte Mallory ruhig. »Mir ist es verhaßt, einen Menschen wie Sie so behandeln zu müssen.« Er drehte sich zur Tür um, da Andrea hereinkam. »Andrea, frag mal Louki und Panayis, ob es in diesem Lager eine Telefonzentrale gibt. Dann sollen sie die zertrümmern, auch alle einzelnen Anschlüsse, die sie finden können.« Er lächelte spöttisch. »Und komm du gleich wieder her, ich bin ohne dich als Empfangskomitee nicht viel wert, wenn unsere Besucher vom Tor erscheinen.«
Turzigs Augen folgten dem breiten Rücken Andreas, als der hinausging. »Hauptmann Skoda hat recht gehabt, ich muß noch viel lernen«, sagte er, ohne Bitterkeit und Haß. »Er hat mich vollständig hinters Licht geführt, der Dicke da.«
»Sie sind nicht der erste«, versicherte ihm Mallory, »er hat schon mehr Leute zum Narren gehalten als ich zählen kann … Sie sind nicht der erste«, wiederholte er, »aber ich kann Sie wohl zu den wenigen rechnen, die Glück dabei haben.«
»Weil ich noch am Leben bin?«
»Weil Sie noch am Leben sind«, gab Mallory zurück.
Knapp zehn Minuten später fanden sich die beiden Posten vom Tor bei ihren Kameraden im hinteren Raum wieder, so schnell, so sachverständig und so geräuschlos gefangen, entwaffnet, gefesselt und geknebelt, daß Turzig als Soldat, und trotz seiner Verärgerung, das nur bewundern konnte. Er selbst lag, an Händen und Füßen stramm gebunden, aber ohne Knebel, in einer Ecke des Raumes.
»Ich glaube jetzt zu verstehen, weshalb Ihr Oberkommando Sie für diese Aufgabe ausgesucht hat, Captain Mallory«, sagte er. »Wenn es jemand gab, der sie durchführen konnte, dann waren Sie das – und doch muß es Ihnen mißlingen. Das Unmögliche wird immer unmöglich bleiben. Jedenfalls haben Sie einen großartigen Haufen.«
»Es geht so«, sagte Mallory bescheiden. Nach einem letzten Rundblick im Raum blickte er lächelnd Stevens an. »Nun, sind Sie bereit, die Reise fortzusetzen, junger Mann, oder finden Sie es allmählich monoton?«
»Bin bereit, sobald Sie aufbrechen wollen, Sir.« Auf einer Bahre liegend, die Louki wie ein Zauberer besorgt hatte, seufzte er selig. »Diesmal geht's erster Klasse, wie sich's für einen Offizier gehört, ganz luxuriös. Soll mir
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