Die Kanonen von Navarone
Einzelheiten und prägte sich das Bild fest ins Gedächtnis: wie westlich des Hafens das Gelände sanft zu den Olivenhainen anstieg; die staubigen Straßen, die dort zum Wasser hinabführten; die im Süden auf etwas steilerem Gelände parallel zum Wasser nach der Altstadt führenden Straßen. Er sah an der Ostseite der Bucht die von den Bomben der Staffel Torrance punktierten, fünfundvierzig Meter hoch aus dem Wasser ragenden Klippen, die oberhalb des Hafens beängstigend überhingen. Und auf den Klippen den großen runden Buckel vulkanischen Gesteins, der von der Stadt aus unsichtbar sein mußte, da die hohe Festungsmauer das ganze Terrain auf der Klippe im Halbkreis abschloß. Er konnte erkennen und beurteilen, wie die zwei Reihen von Flakgeschützen, die großen Radarschirme und die Kasernen der Besatzung, niedrige Gebäude aus dicken Mauersteinblöcken, mit tief eingelassenen Türen und Fenstern, die ganze Umgebung beherrschten – daß sie auch den breiten, schwarzen Schlund in der Klippenwand unter dem phantastischen natürlichen »Dach« kraftvoll schützten …
Fast ohne es zu wissen, nickte er still für sich, da ihm nun die Zusammenhänge immer klarer wurden. Das also war die Festung, die den Alliierten anderthalb Jahre getrotzt, die, seitdem die Deutschen vom Festland nach den Inseln übergriffen, die ganze Seekriegsstrategie in den Sporaden bestimmt und in dem zweitausend Quadratmeilen großen Gebiet zwischen den Leraden und der türkischen Küste jede Seekriegsaktion blockiert hatte. Erst jetzt, da er die Festung sah, begriff er das Ganze. Uneinnehmbar durch Angriffe zu Lande oder aus der Luft – denn daß die Aufgabe, die Torrance gehabt hatte: sich mit seinen Flugzeugen den gewaltigen, unter dem Klippendach verborgenen Kanonen und den Reihen starrender Flakgeschütze auszusetzen, fast Selbstmord gewesen war, war ihm nun mit einem Blick klar – und uneinnehmbar auch von See aus, denn dafür sorgten die auf Samos wartenden Staffeln der deutschen Luftwaffe. Jensen hatte die Lage richtig beurteilt: daß hier nur der Kleinkrieg mit Sabotage gewisse Erfolgsaussichten bot, eine ganz schwache Chance auf so gut wie verlorenem Posten, aber immerhin eine Möglichkeit. Und Mallory wußte, daß er mehr nicht verlangen durfte.
Nachdenklich senkte er den Feldstecher und rieb mit dem Handrücken über seine schmerzenden Augen. Endlich wußte er wirklich, wieviel seine Aufgabe verlangte, und war froh über diese Gelegenheit, sich vorher noch aus sicherem Abstand mit dem Gelände und den Eigenarten der Stadtanlage vertraut machen zu können. Vermutlich war diese Stelle die einzige auf der ganzen Insel, wo sie so sicher ihre Chance abwarten konnten. Und nicht er, als Führer des Unternehmens, hatte das Verdienst, sie entdeckt zu haben, gestand er sich etwas mißvergnügt ein. Es war einzig und allein Loukis Idee gewesen.
Und dem kleinen Griechen mit den traurigen Augen schuldete er noch viel mehr. Von Louki stammte der Plan, zuerst von Margaritha aus talaufwärts zu gehen, um Andrea Zeit zu geben, die Sprengstoffe aus der Schäferhütte zurückzuholen und sich zu vergewissern, ob nicht schon eine Hetze und Verfolgung im Gang war – dann wären sie in einem Rückzugsgefecht durch die Olivenhaine bis in die Ausläufer des Kostos ausgewichen. Louki hatte sie dann auch, an Margaritha vorbei, zurückgeführt und sie außerhalb des Ortes warten lassen, während er und Panayis wie die Gespenster durch die graue Dämmerung schlüpften, um sich warmes Zeug aus ihren Wohnungen zu holen. Und auf dem Rückweg war er in die Garage der Abteilung geschlichen, hatte die Zündkabel aus dem Wagen des deutschen Kommandeurs und dem LKW gerissen – dem einzigen Transportmittel der Truppe in Margaritha – und »vorsichtshalber« auch die Verteiler zerschlagen. Louki war es, der sie durch einen eingesunkenen Graben bis zu den Wachtposten an der Straßensperre im Tal geleitet hatte – beinah lächerlich leicht hatten sie es gehabt, die Posten, von denen nur einer wach war, zu entwaffnen – und schließlich war es Louki gewesen, der darauf bestand, daß sie auf dem Talweg durch den schlammigen Teil in der Mitte gingen, bis sie an die geschotterte Straße kamen, etwa drei Kilometer von der Stadt. Nach hundert Metern auf fester Straße waren sie links abgebogen und hatten, über ein langes, ansteigendes Lavafeld, auf dem keinerlei Spur hinterblieb, kurz vor Sonnenaufgang dieses Dickicht von Johannisbrotbäumen erreicht.
Und
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