Die Kanzlerin - Roman
Geschehen informieren und sein Programm sofort unterbrechen, wenn weitere Informationen vorliegen.«
Clara stand auf und öffnete das Küchenfenster. Ecstasy schaute Tricolor an, und Tricolor starrte ins Leere. Dann sagte er: »Wir warten auf Jodler, dann hauen wir ab. Clara, du fliegst. Ecstasy, du nimmst den Zug. Ich räume auf, bringe den Wagen zurück und komme dann nach, zusammen mit Jodler.«
»Hört ihr das?«
Sirenen. Polizeifahrzeuge, Krankenwagen, Feuerwehr: St. Gallen ist eine kleine Stadt, aber jetzt klang sie schrecklich gross.
» A ktion gelaufen. In Kürze mehr. Jodler.«
Als Cookie die SMS öffnete, hatte er die Eilmeldungen bei N24, n-tv, CNN und Spiegel Online schon gelesen: »DeutscheKanzlerin in der Schweiz auf Seilbahnfahrt zum Säntis verunglückt. Sie wurde von mehreren Ministern begleitet. Der Säntis ist ein 2500 Meter hoher Berg im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Die Schweizer Armee hat den Luftraum grossräumig abgeriegelt. Hunderte Rettungskräfte sind im Einsatz. In Kürze mehr.«
Eilmeldungen auch bei ARD und ZDF: »Seilbahndrama auf dem Säntis. Die deutsche Kanzlerin und mehrere Minister der grossen Koalition sind offenbar auf der Fahrt zum 2500 Meter hohen Säntis verunglückt. Sondersendung um 9 Uhr …«
Das Schweizer Fernsehen und RTL orderten als Erste einen Hubschrauber, und weltweit mobilisierten die Medien ihre Reporter. Die ersten Sonderkorrespondenten waren auf dem Weg nach Zürich. Katastrophenalarm bei allen Schweizer Zeitungen und den elektronischen Medien.
Als Aussenminister Jeremias Schiller im Kanzleramt eintraf, tagte der Krisenstab bereits, und über Lautsprecher hörte er Stimmen vom zugeschalteten Berner Bundeshaus.
»Lagebeurteilung?«
»Es gibt noch keine gesicherten Meldungen von BKA und BND. Ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes hat aber vor zwei Minuten berichtet, dass Schweizer Rettungsärzte sich jetzt im Einsatz befinden.«
»Hier spricht Jeremias Schiller, Vizekanzler. Kann Bern mich hören? Was ist passiert?«
»Ein paar hundert Meter vor dem Gipfel sind die Kabineninsassen in der Säntisseilbahn kollabiert. Als die Gondel um circa 7 Uhr auf dem Säntis eintraf, waren alle Personen an Bord ohne Bewusstsein. Ursache unklar.«
»Ein Attentat?«
»Davon geht der Schweizer Inlandsgeheimdienst derzeit aus. Der Schweizer Verteidigungsminister hat das Labor Spiez aufgeboten,weil wir befürchten, dass beim Anschlag chemische Kampfstoffe verwendet wurden.«
Jeremias Schiller neigte nicht zu hysterischen Reaktionen. Aber er spürte ein Gefühl, das er nicht kannte: Panik. Die Kanzlerin war tot.
V erteidigungsminister Fässler hatte nach kurzer Unterredung mit Lukas Falter, dem Leiter des Inlandsgeheimdienstes, entschieden, dass das Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich den Fall übernehmen und die eigentlich dafür zuständige Forensik am Kantonsspital St. Gallen lediglich mit einem kleinen Team assistieren sollte. Das würde Diskussionen auslösen, aber die Zürcher waren die Einzigen, die in der Lage waren, diese Situation zu bewältigen. Entsprechend wurden die Kriminalpolizeien Zürich und St. Gallen verständigt sowie die Bundeskriminalpolizei, deren Chef Nils Nebel mittlerweile zusammen mit Bundesanwalt Simon Gollwitz auf dem Säntis eingetroffen war. Fässlers Bundesratskollegen waren mit dem Helikopter unterwegs ins Bundeshaus.
Oberärztin Sonja Bischoff hatte ein Team von insgesamt fünf Ärztinnen und Ärzten zusammengestellt, und auf dem Flug mit dem Helikopter telefonierte sie mit dem Chef der Notfallequipe, die auf dem Säntis im Einsatz war. »Etwa 25 Tote«, sagte sie am Ende des kurzen Gesprächs. »Vermutliche Todesursache: Kohlenmonoxidvergiftung.«
Militär, Rettungssanitäter, Notfallärzte, Feuerwehrleute, Polizisten und Soldaten: Dutzende von Personen waren auf dem Säntis, als die Zürcher Gerichtsmedizinerin mit ihren Kollegen die Seilbahngondel betrat. Wie immer bei Tötungsdelikten hatten sie sich weiss verhüllt. Diese Schutzanzüge bezweckten zwei Dinge: verhindern, dass eigene DNA am Tatort hinterlassen wurde, also etwa ein Haar zu Boden fiel – zum anderen war es Selbstschutz.
»Sieht immer wieder gespenstisch aus«, sagte Bundesanwalt Gollwitz zu Verteidigungsminister Fässler, »diese Weissgewandeten mit ihren Köfferchen, als ob ein Hauch von Unschuld dem Ort eines Verbrechens seinen Schrecken nehmen könnte.«
Zwei Polizeifotografen machten Bilder, und Sonja Bischoff wollte warten, bis
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