Die Kanzlerin - Roman
es gebe die Vermutung, dass er der Täter gewesen sei. Es soll auch ein Regierungsmitglied in den Fall verwickelt gewesen sein. Restlos sei die Tat nie aufgeklärt worden, und wer die Appenzeller nach dieser Geschichte frage, stosse auf eine Mauer des Schweigens. Seltsam sei auch, dass dem Leiter des Alpenmuseums erst vor wenigen Jahren der Rosenkranz des mutmasslichen Täters angeboten worden sei und er gezögert habe, das spektakuläre Objekt anzunehmen. Erst nach längerem Überlegen habe er sich entschlossen, diesen Rosenkranz zu inventarisieren und einzulagern. Allerdings, so Kranich, ausgestellt werde der Rosenkranz nicht.
»Und hat der Täter auch einen Namen?«, fragte die Kanzlerin.
»Gregor Kreuzpointner«, sagte Kranich.
»Ein merkwürdiger Name. Aber so sind sie halt, die Schweizer, ein bisschen seltsam. Und sie mögen offenbar eher schwermütige und düstere Gedanken. Ich mag es lieber ein bisschen heiterer, Kranich. Wissen Sie, was dieser Schweini, der ja im Prinzip nur Fussball spielt, vor dem entscheidenden Spiel auf der Tribüne zu mir gesagt hat? Er sagte: ›Hopp oder topp: Wir werden natürlich schon mit einer gewissen Taktik auf den Platz gehen‹, und genauso mache ich es jetzt auch, Herr Kranich. Ich mache Politik jetzt, wenn Sie mich also bitte entschuldigen wollen.«
Es zwitscherte, aber die Kanzlerin war entschlossen, diesen Vogel vorerst nicht mehr zu füttern. Und dass es dieser Vogel war, der zwitscherte, das wusste sie. Er würde warten müssen.
K anzleramtschef Haxer bedauerte seine Entscheidung bereits, als er die Stimme des BND-Chefs Puller hörte: »Keine Gespräche, darum habe ich Sie doch gebeten, was will er? … Herr Haxer? Sie entschuldigen mich hoffentlich, aber auch beim Auslandsgeheimdienst gibt es gelegentlich Besprechungen. Brennt es, oder ist dasVerfallsdatum Ihres Anliegens fast schon abgelaufen? Meine Sekretärin meinte, Sie seien ziemlich nervös.«
»Die Kanzlerin will eine neue Handynummer.«
»Warum?«
»Sie hat mich über ihren Beweggrund nicht informiert.«
»Und? Veranlassen Sie das Nötige.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Nötige in diesem Fall genügt, Herr Puller.«
»Herr Haxer, wie gesagt, die Sitzung ruft. Sie kennen das alles. Es gibt Richtlinien, es gibt Vorgaben, es gibt Verfahrensweisen, nach denen Sie verfahren können, und es gibt nicht zuletzt Mitarbeiter sowohl in Ihrem als auch in meinem Amt, die sich um solche Dinge sehr professionell zu kümmern wissen. Warum rufen Sie mich an?«
»Ich kenne die Kanzlerin gut, Herr Puller, und mein Gefühl sagt mir, dass da irgendetwas nicht stimmt.«
»Dann finden Sie heraus, was nicht stimmt. Vielleicht hat sie einen Liebhaber und will eine vertrauliche Nummer. Sie simst ja mit der ganzen Welt, und wenn es manchmal auch nur die hessische oder niedersächsische oder baden-württembergische Welt ist. Und vielleicht hat sie in einer dieser Welten eine interessante Bekanntschaft gemacht.«
»Vielleicht«, sagte Haxer leise, »sollte man einige Dinge in Erfahrung bringen, bevor man aktiv wird.«
»Sie wollen die Gespräche der Kanzlerin überwachen lassen, Herr Haxer? Verstehe ich Sie da richtig?«
»Ich bin der Geheimdienstverantwortliche hier im Kanzleramt, wie Sie wissen, Herr Puller. Und es wäre denkbar, dass Ihr Dienst über gewisse Dinge informiert ist, die ich in dieser Situation wissen sollte.«
»Worauf spielen Sie an, Herr Haxer?«
»Es gab diesen seltsamen Fehlalarm mit Sarko …«
»Geklärt«, fiel ihm Puller ins Wort.
»Und trotzdem«, sagte Haxer, »kurze Zeit später wünscht sich die Kanzlerin eine neue geheime Handynummer.«
»Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit, Herr Haxer. Aber versprechen Sie sich davon nicht allzu viel. Und damit das klar gesagt ist: Ich werde hinter dem Rücken der Kanzlerin keinerlei Initiative ergreifen. Dieser Nachrichtendienst hat Jahrzehnte gebraucht, um sich ein gewisses Ansehen zu erwerben und vor allem, Herr Haxer, den üblen Ruf loszuwerden, losgelöst von politischen Rahmenbedingungen, Auflagen und Kontrollen zu agieren. Wir bauen mitten in Berlin eine neue Zentrale, was glauben Sie, was bei uns derzeit abgeht? Ein ganzer Geheimdienst zieht um, und das in aller Öffentlichkeit. Sie kriegen von mir ein kurzes Memo, darauf bestehe ich, dass Anfrage und Antwort schriftlich festgehalten werden.«
Als Haxer auflegte, war er sicher, einen Fehler gemacht zu haben. Aber wenn es ein Fehler war, dann habe ich den richtigen Fehler gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher