Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Zug Richtung Osten
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H ANNOVER , L ANDESKRIMINALAMT
M ITTE A PRIL 2012
Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte. Die Mordermittlungen gingen einfach nicht voran. Selbst das Phantombild erwies sich am Ende als Rohrkrepierer. Alle Bemühungen, die gesuchte Person zu finden, waren ins Leere gelaufen. Auch die mühsame Auswertung der vielen Hinweise aus der Bevölkerung hatte bislang nichts Vorzeigbares erbracht. Verena verhörte ein weiteres Mal das Vorstandsmitglied Hansen. Doch auch beim dritten Anlauf biss sie bei ihm auf Granit. Er blieb dabei, dass mit der Holding alles in bester Ordnung sei. Und zu den Geschäftsbeziehungen Baumgarts mit Boris Milner könne er nichts sagen. Auch mit Wächter hatte er angeblich kaum zu tun gehabt, bis auf die Aufsichtsratssitzungen, aber da hätten sie nur einige unverbindliche Worte gewechselt. Die Kontaktpflege zum Aufsichtsrat der Baumgart Holding habe sich der Vorstandsvorsitzende vorbehalten. Weshalb hätte er sich da reinhängen sollen, fragte er Verena und gab die Antwort gleich selbst. Es war nicht seine Aufgabe, das zu tun.
Auch über die Klinik, die Wächter vor dem Mord in hektische Betriebsamkeit versetzt hatte, wusste er angeblich nichts. Die Kollegen vom Wirtschaftsdezernat hatten inzwischen herausgefunden, dass ein Unternehmen, an dem Baumgart maßgeblich beteiligt war, Hauptinvestor war. Hansen meinte, um dieses Investment hätte er sich nicht gekümmert. Sein Aufgabenbereich sei klar umgrenzt gewesen. Bei einem Vierzehnstundentag hätte er nicht das geringste Verlangen gespürt, auch noch in Baumgarts Bereichen zu fischen.
Jetzt saß Verena mit Hetzel, Kleinsorge, Pieper und Assistentin Schramm in ihrem viel zu engen Büro zusammen, ein Krisengipfel außerhalb der üblichen Lagebesprechungen. Kleinsorge und Pieper hatten auf der Fensterbank Platz genommen, ihre Assistentin auf ihrer Schreibtischkante und Hetzel auf dem einzigen Besucherstuhl. Er war seit einigen Tagen ungewohnt friedfertig. Augenscheinlich hatte er sich damit abgefunden, dass sie im LKA einen guten Ruf genoss und seine Intrigen gegen sie ins Leere liefen.
„Ich bleibe dabei, dass es Frau Baumgart war“, stellte er fest. „Vermutlich hatten sie einen Ehevertrag und sie wäre bei einer Scheidung mit einigen Millionen abgespeist worden. Für eine Frau wie die ist das ein Trinkgeld, ihr Mann war kurz davor, die Milliarde zu knacken.“
Pieper argumentierte dagegen. Das tat er schon aus Prinzip, er hatte inzwischen eine regelrechte Aversion gegen Hetzel entwickelt. Verena fühlte sich an den früheren Dauerstreit zwischen Hirschmann mit ihrem Freund Stolli erinnert.
„Weshalb hätte sie dann Wächter umbringen lassen sollen? Nur um falsche Spuren zu legen? Ich halte das für aberwitzig. Außerdem hat unser Kontaktmann im Steintorviertel sich intensiv umgehört. Dort zumindest hat sie keinen Killer beschafft. Wir haben nichts, absolut nichts gegen sie in der Hand. Und die Tochter hat sich zum Tatzeitpunkt in Indien aufgehalten, hat also ein Alibi. Ich halte beide Frauen für unschuldig.“
„Ich nicht. Kein Mensch kann mir erzählen, dass Frau Baumgart nichts von dem Techtelmechtel ihres Mannes mitbekommen hat. Nicht in Hannover, wo jeder jeden kennt und alles so überschaubar ist.“
„Verschonen Sie uns mit Ihren dümmlichen Kommentaren über die Landeshauptstadt, Kollege Hetzel“, schimpfte Pieper. „Weshalb sind Sie eigentlich aus Essen weggegangen, wenn doch dort alles so toll ist?“
Bevor Verena dazwischengehen konnte, mischte sich Oberkommissar Kleinsorge ein. Er hatte Neuigkeiten. Baumgarts Fahrer hatte ausgesagt, dass sein Chef vor einiger Zeit von einem aufgebrachten Mann vor seinem Privathaus abgefangen und übel beschimpft worden sei. Obwohl der Vorfall zwei Jahre zurücklag, konnte sich der Fahrer sogar an den Namen des aggressiven Mannes erinnern. Solange er für Herrn Baumgart arbeitete, sei es nämlich niemals zu einer Begegnung dieser Art vor dem Wohnhaus seines Chefs gekommen. Außerdem hatte sein Chef am nächsten Tag vom Autotelefon aus mit jemandem über den Vorfall gesprochen. „Dabei ist der Name Heidkamp gefallen“, hatte der Fahrer ausgesagt und hinzugefügt: „Es ging um einen Konkurs, in den der Mann verwickelt war und für den er Herrn Baumgart die Verantwortung in die Schuhe schieben wollte.“
Assistentin Schramm wurde unruhig und meldete sich zu Wort. „Heidkamp? Den Namen kenne ich. Das ist doch der geschädigte Unternehmer, der spurlos
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